Hoffnung für Benachteiligte, Verantwortung der Mächtigen

Kommandeurin Marie Willermark zur ARD-Themenwoche „Gerechtigkeit“

Dass alle Menschen in Würde leben können, dass sie die Möglichkeit haben sollen, eine gute Ausbildung zu bekommen, Arbeit zu finden, für ihre Familie zu sorgen und Gesundheitsversorgung zu erhalten – dagegen hat in der Regel niemand etwas einzuwenden. Doch warum ist das noch keine Realität in Ländern wie Deutschland, wo es theoretisch erreichbar wäre?

Ein Faktor, der die Berechnung von theoretischen Formeln so schwierig macht, ist die Realität des menschlichen Egoismus. Der Milliarden Euro schwere Steuerbetrug, der im Oktober 2018 ans Licht kam, war kein Robin-Hood-Stück, bei dem von den Reichen genommen und den Armen gegeben worden wäre. Nein, hier haben die Reichen eine Chance gewittert, noch reicher zu werden. Gierige Menschen haben eine Gelegenheit gesehen, der sie nicht widerstehen konnten.

Manche Fälle von Ungerechtigkeit haben Schlagzeilen gemacht und stehen auf der politischen Agenda, wie etwa bezahlbarer Wohnraum und Löhne, von denen Menschen leben können, die in Vollzeit arbeiten. Doch diejenigen, die auf ein besseres Leben warten, müssen politisches und unternehmerisches Handeln sehen, um nicht die Hoffnung zu verlieren.

Wer soll die Initiative ergreifen?

Es ist unwahrscheinlich, dass diejenigen, die mit einem niedrigen Lebensstandard belastet sind, jemals Zeit oder Mittel haben werden, um die Situation zu ändern. Vielmehr besteht die Gefahr, dass sie aufgrund ihrer Frustration und ihres Gefühls der Machtlosigkeit radikale politische Gruppen unterstützen, die die Demokratie missachten.

Soziale Gerechtigkeit lässt sich nur dann erzielen, wenn die Reichen und Starken von sich aus einige ihrer Privilegien aufgeben. Man kann sich schon fragen, warum Niedrigverdiener die Gelegenheit nicht nutzen sollten, das Sozialsystem um ein paar Hundert Euro zu betrügen, wenn Großverdiener (scheinbar) legal Hunderttausende Euro an Steuern hinterziehen oder zumindest trickreich umgehen können.

„Privilegien aufzugeben” wird für die Reichen und Einflussreichen kaum einen Verlust an wirtschaftlichem Standard bedeuten. Es geht mehr darum, die Lebensperspektive zu ändern. Statt zu überlegen, „Wie kann ich meinen Reichtum und meine Position sichern?“, sollte die Frage eher lauten, „Wie kann ich meinen Reichtum und meine Position nutzen, um Menschen zu befähigen?“.

Befähigung kann in unterschiedlichen Situationen Unterschiedliches bedeuten. Die dazu nötige Grundhaltung besteht darin, die menschliche Würde und den Wert zu sehen, die jeder Mensch besitzt, allein schon dadurch, dass er am Leben ist. Die Identität einer Person entspricht nicht dem Etikett, das wir ihm anheften – Kunde, Wähler, Armer, Flüchtling, Obdachloser, Christ, Jude oder Muslim.

Die ethischen Werte, gerecht zu handeln und sich bewusst dafür zu entscheiden, vielen Gutes zu tun statt nur sich selbst zu verwöhnen, sind Eigenschaften, die wir vor allem dadurch entwickeln, dass wir Vorbilder beobachten und von ihnen lernen.

Wir können den Egoismus besiegen

Wir können persönliche Entscheidungen treffen und in unseren Familien vereinbaren, dass unser Sein und Tun sich dadurch auszeichnet, dass wir dem Rat folgen:

„Haltet euch an das Recht, begegnet anderen mit Güte
  und lebt in Ehrfurcht vor eurem Gott!“

Die Bibel, Prophet Micha, Kapitel 6, Vers 8

Marie Willermark, Kommandeurin
Leiterin der Heilsarmee in Deutschland, Litauen und Polen

#istdasgerecht

 

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