Politischer Apell gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution

In einem offenen Brief richtet sich die Heilsarmee an die Koalitionsverhandlungsgruppe „Gleichstellung und Vielfalt“, um sich für eine Verbesserung der gesetzlichen Rahmenbedingungen zum Schutz von Zwangsprostituierten einzusetzen.

In Deutschland trat 2017 das Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) in Kraft, mit den Ziel, Prostituierte durch die Einführung einer Erlaubnispflicht und einer Anmeldebescheinigung besser zu schützen. Doch nach Aussage des Vereins Gemeinsam gegen Menschenhandel wirkt das Gesetz nur eingeschränkt.

Die Heilsarmee kämpft seit ihrer Gründung durch Aufklärung und praktische Hilfe für die Rechte der Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution. Sie ist in Deutschland Gründungsmitglied des Vereins Gemeinsam gegen Menschenhandel, der sich unter anderem für gesetzliche Rahmenbedingungen einsetzt, um Opfer besser zu schützen und Menschenhändler strafrechtlich zu verfolgen.

An die Politiker:innen der Koalitionsverhandlungsgruppe „Gleichstellung und Vielfalt“

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Angela Fischer und ich bin innerhalb der Heilsarmee in Deutschland die Kontaktperson für das Thema Anti Human Trafficking.

Wie ich erfahren habe, sind Sie innerhalb der Koalitionsverhandlungen für den Bereich Gleichstellung und Vielfalt zuständig. Darum schreibe ich Ihnen, aber auch Ihren VerhandlungspartnerInnen, weil mir ein Thema sehr auf dem Herzen liegt. Die Heilsarmee setzt sich seit jeher für die Verbesserungen der Umstände in der Prostitution ein. So hat sie bereits 1885 in England erwirkt, dass das vom Gesetz her erlaubte Alter für Mädchen in der Prostitution von 13 Jahren auf 16 Jahre erhöht wurde. Auch heute arbeitet die Heilsarmee in vielen Ländern der Erde daran, die Umstände für Frauen und Mädchen in der Prostitution zu verbessern bzw. auch durch präventive Maßnahmen zu verhindern, dass sie ungewollt in die Prostitution geraten.

Da es auch in Deutschland dringenden Handlungsbedarf gibt, wende ich mich mit dem Thema Prostitution an Sie und ich bitte Sie, meine nachfolgenden Punkte in den Koalitionsverhandlungen mit zu bedenken. Wichtig ist mir dieses Thema deshalb, weil neben der freiwilligen und einvernehmlichen Prostitution unzählige Frauen in Deutschland der Prostitution nicht freiwillig nachgehen, sondern aus Gründen wie Armut, Perspektivlosigkeit, mangelnder Bildung u.ä. leichte Opfer von Menschenhändlern werden, die Frauen vornehmlich aus Osteuropa in unser Land bringen. (Das betrifft in geringerer Anzahl auch Männer, auch wenn ich hier nachfolgend von Frauen schreibe).

Durch das ProstG von 2002, das Prostitution zu einem legalen Beruf machte, ist die Nachfrage an käuflichem Sex stark angestiegen. Weil durch die immer höhere Nachfrage auch immer mehr Frauen „benötigt“ wurden, kam es zu neuen „Geschäftsmodellen“ der Menschenhändler. Frauen aus ärmeren Ländern wurden (und werden)  vermehrt durch falsche Versprechungen oder Vortäuschung der großen Liebe (Loverboy-Masche) nach Deutschland gelockt und hier in die Prostitution gezwungen. Es ist kaum vorstellbar, was das für eine junge Frau, oft noch minderjährig, bedeutet. Sie wollten diesen „Job“ nie machen und müssen nun täglich, ohne Aussicht, da herauszukommen, mehrere Männer bedienen. Das „scheint“ nur echte Prostitution zu sein, tatsächlich ist es streng genommen ein Missbrauch, den diese Frauen über sich ergehen lassen müssen, eben „ungewollter Sex“. (Das ist übrigens mit dem „Nein heißt nein!“-Gesetz nicht vereinbar!).

Die damalige Bundesregierung hat versucht, mit dem 2017 in Kraft getretenen ProstSchG die Lage der Frauen zu verbessern, das allerdings nicht so greift, wie es erhofft war. Nun hat die neue Bundesregierung die Chance, es besser zu machen. Darum bitte ich Sie, Maßnahmen zu ergreifen, die Nachfrage nach käuflichem Sex drastisch zu reduzieren. Hierzu fordern auch etliche internationale Vereinbarungen Deutschland gezielt auf. Leider wurden die Forderungen in diesen Verträgen bis heute nicht oder nicht ausreichend genug erfüllt. Ich verweise auf:

  • EU-Richtlinie 2011/36/EU zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels
  • EU-Bericht 2013 „Honeyball Report“, in dem es um die Gleichstellung der Geschlechter geht und die Auswirkungen von Prostitution und sexueller Ausbeutung darauf
  • „Palermo Protokoll“ der Vereinten Nationen gegen organisierte grenzüberschreitende Kriminalität aus dem Jahr 2000

Gleichzeitig bitte ich Sie, vermehrt Hilfsangebote für Frauen, die aus der Prostitution aussteigen wollen, einzurichten und anzubieten. Hierzu gehören z.B. kurzfristige Unterbringungsmöglichkeiten in einem geschützten Umfeld, Hilfen bei der Wohnungs- und Arbeitssuche, psychologische Betreuung und ggf. Traumatherapien, Sprachkurse oder Hilfen bei gewünschter Rückreise in ihr Herkunftsland. Um alle die genannten notwendigen Hilfen zu geben, ist der Staat in der Pflicht. Es braucht einheitliche Regelungen für Fachberatungsstellen, um zu gewährleisten, dass flächendeckend diese Aufgaben übernommen werden können. Ich bitte Sie, auch dies zum Thema für die Koalitionsverhandlungen zu machen.

Das wichtigste Instrument wäre aber tatsächlich eine drastische Eindämmung der Nachfrage! Je weniger Nachfrage, desto weniger Frauen müssten sich gegen ihren Willen prostituieren. An dieser Stelle wären auch Aufklärungskampagnen für die Öffentlichkeit von Nöten, denn es braucht einen Bewusstseinswandel – niemand hat das Recht, einen anderen Körper zu kaufen!

Vielen Dank, dass Sie den Inhalt dieser Mail wohlwollend und ernsthaft behandeln.

Für Ihre Verhandlungen wünsche ich Ihnen viel Erfolg!

Gottes Segen wünscht Ihnen

Angela Fischer

Nationaler Kontakt
Anti Human Trafficking

Weltweit sind etwa 30 Millionen Menschen Opfer von Menschenhandel. Vor allem Frauen und Kinder sind betroffen. Nach Deutschland werden beispielsweise tausende Frauen und Mädchen, vorwiegend aus Osteuropa, unter falschen Versprechungen gelockt. Ihnen wird der Pass abgenommen und sie werden in die Prostitution gezwungen. Kaum ein Wort Deutsch sprechend und ohne Papiere sind sie nicht in der Lage, sich aus dieser schrecklichen Situation selbst zu befreien.

Weitere Informationen zu unserem Engagement für die Opfer von Menschenhandel

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