Überlebenshilfe aus dem Bollerwagen

Leutnantin Silvia Berger mit Charlie. Sie versorgt ihn mit Kaffee und Broten, er hält für sie und andere Informationen bereit.

Das Wetter ist durchwachsen, an diesem Samstag Ende März in Osnabrück. Aber Regen- und Hagelschauer sind für Leutnantin Silvia Berger kein Hindernis: Die mobile Kaffee- und Lebensmittelausgabe der Heilsarmee wird auch heute stattfinden. „Wir sind jeden Samstag im Einsatz“, erzählt die Geistliche, während sie den vollgepackten Bollerwagen über das Kopfsteinpflaster Richtung Innenstadt zieht. Unter der Abdeckung, die die markante Fahne der Heilsarmee ziert, verbergen sich Kannen mit heißem Kaffee, Wasserflaschen, belegte Brote und liebevoll gepackte Tüten mit ein paar Süßigkeiten. Im Moment engagieren sich rund 14 Menschen beim Straßendienst der Heilsarmee. „Jede Woche sind zwei von uns unterwegs“, sagt Silvia Berger.

Sven Hildebrandt verkauft das "Abseits"-Magazin - und singt im Abseits-Chor mit. Jeden Samstag freut er sich auf den Kaffee von der Heilsarmee.

Viel Armut vor schöner Kulisse

Das Zentrum von Osnabrück ist ein echtes Juwel. Schöne Altbauten, schicke Geschäfte, gut gekleidete Menschen auf dem Weg zum Wochenmarkt. Doch in den hübschen Gassen verbirgt sich auch viel Not und Armut. Wo, weiß Silvia Berger genau. Gezielt steuert sie eine Ecke des Marktplatzes an. Dort steht Sven Hildebrandt und verkauft die Obdachlosenzeitung „Abseits“. Auf den Besuch von der Heilsarmee hat er sich schon gefreut. „Ihr kommt genau richtig, ich brauche dringend was zum Aufwärmen“, sagt der gepflegte Mann in den Dreißigern. Während Sven seinen Kaffee trinkt, plaudern er und Silvia Berger angeregt. Schnell wird klar: Die Offizierin weiß, was ihn bewegt. Es geht um gemeinsame Bekannte und Svens nächste Auftritte mit dem „Abseits“-Chor. Ein gutes Gespräch auf Augenhöhe, eben.

Danach zieht Silvia Berger weiter zum großen Parkhaus am Rand der Fußgängerzone. „Der Eingangsbereich mit den Kassenautomaten ist ein guter Platz für obdachlose Menschen“, sagt sie. „Hier kann man geschützt sitzen und es kommen viele Leute vorbei, die vielleicht etwas Geld geben.“ Heute hockt hier Dirk auf seiner Decke; ein hagerer Endsechziger, dessen Hände mit Schorf bedeckt sind. Für ihn darf es dieses Mal ein Wasser und ein belegtes Brot sein; sehr gesprächig ist er nicht. Aber zum Abschied gibt er Silvia Berger noch ein Dankeschön und „viele Grüße“ für die anderen Mitglieder des Heilsarmee-Teams mit auf den Weg.

Obdachlosigkeit kann jeden treffen

Nicht alle Osnabrücker sind begeistert von sichtbar Bedürftigen im Straßenbild – und vom Engagement der Heilsarmee für diese Menschen. „Die meisten Leute begegnen uns positiv, aber es passiert schon auch, dass wir angefeindet werden“, erzählt Silvia Berger. „So nach dem Motto: ‚Ihr lockt die Penner noch an‘.“ Das sei nicht angenehm, aber kein Grund, mit der Unterstützung aufzuhören. „Vielen ist einfach nicht bewusst, wie schnell man in Armut und Obdachlosigkeit abrutschen kann. Da reicht schon eine Krankheit oder der Verlust der Arbeitsstelle“, sagt die Offizierin. „Wer heute noch über Bedürftige schimpft, braucht morgen vielleicht selbst schon Hilfe.“

Was Charlie auf die Straße gebracht hat, weiß niemand so genau. Aber er ist er eine bekannte Figur in Osnabrück. Umgeben von vielen Büchern sitzt er regelmäßig an seinem Stammplatz vor der Sparkasse. Charlie liest, macht sich viele Notizen und geht mit interessierten Passanten über unterschiedlichste Themen ins Gespräch. „Es ist wichtig, sich und andere zu informieren“, meint der drahtige Mann mit der kaputten Jacke und der schwarzgrünen Lesebrille. „Auch über das hinaus, was man so in den gängigen Medien erfährt.“ Heute spricht er mit Silvia Berger und über die allgemeine Weltlage und Osnabrücker Lokalpolitik. Dann muss er los: in die Stadtbibliothek, zum Recherchieren.

Maiks Jacke schützt nur unzureichend vor Kälte und Regen, Er wärmt sich mit einem Kaffee aus dem Bollerwagen von Silvia Berger.

Materielle und geistliche Hilfe sind gefragt

Neben vielen „Stammkunden“ begegnet Silvia Berger auf ihrer Runde auch immer wieder neuen Menschen, die Unterstützung brauchen. Da ist der Straßenmusiker aus Griechenland im viel zu dünnen Shirt. Die junge Frau mit Nasenpiercing, die das Wurstbrot aus dem Bollerwagen mit ihrem kleinen Hund teilt. Maik mit seinem Rollator, der vor dem Regen Schutz sucht, weil seine Jacke nicht wasserdicht ist. Und viele mehr. Nicht alle brauchen „nur“ materielle Hilfe. „Manche Menschen bitten uns auch, für sie oder mit ihnen zu beten“, erzählt Silvia Berger. Ein Wunsch, dem sie gern nachkommt, denn das spirituelle und seelische Wohlbefinden der Menschen ist ihr größtes Anliegen. „Ich möchte, dass möglichst viele zu Jesus finden und gerettet werden“, sagt sie. „Aber natürlich müssen die Menschen das wollen und sich freiwillig für den Glauben entscheiden. Wir drängen niemandem etwas auf und helfen jedem, egal, ob gläubig oder nicht.“

Nach etwa zwei Stunden ist der Bollerwagen leer und Silvia Berger gönnt sich eine kurze Pause im „Domforum“. Der Begegnungsort mitten in der Innenstadt ist auch fester Treffpunkt für einige bedürftige Männer, die die Offizierin aus ihrer sozialen Arbeit und ihren Gottesdiensten kennt. Sie zu treffen, mitzukriegen, was bei wem gerade los ist und wer vielleicht Hilfe braucht, ist ihr wichtig. „Ich hoffe, dass wir bald selbst ein kleines Gemeindezentrum mit Café hier in Osnabrück eröffnen können“, sagt Silvia Berger. „Dahin könnten wir dann Menschen einladen, ihnen einen warmen, geschützten Ort mit Unterstützung und Gemeinschaft bieten.“ Auf der Suche nach passenden Räumen ist sie schon seit einiger Zeit, aber es ist nicht einfach, etwas Gutes und Bezahlbares zu finden. Doch die Offizierin ist zuversichtlich. „Jesus wird uns das Richtige schicken.“

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