Aufbaujahre

1945-1950

Millionen Deutsche leben in Ruinen, auf der Straße, in Erdhöhlen. Der Kampf um das tägliche Brot wird ausschlaggebend für die nächsten Jahre. Die Heilsarmee sammelt sich wieder, nach und nach kommen die Männer aus der Kriegsgefangenschaft wieder frei, und viele Heilssoldaten aus den großen Korps in Ostpreußen schaffen durch Flucht oder Vertreibung den Weg nach Westdeutschland. Mancherorts wurde alles fast unbeschadet überstanden und die Uniformen werden wieder mit Stolz getragen, während andere die zerbeulten „H”s an einer alten Strickjacke befestigen müssen. Aber die Heilsarmee hat überlebt! Und sie ist nicht allein. Die internationale Heilsarmee hat bereits vor Ende des Krieges für die Organisation und Ausrüstung von Hilfsgruppen (Relief Teams) gesorgt, die ihre Arbeit, sobald es möglich ist, in Belgien und den Niederlanden beginnen. Die Red Shield Services, eine Heilsarmee-Dienstgruppe zunächst für die alliierten Truppen, unterstützt die Relief Teams angesichts des Elends in der deutschen Bevölkerung nach Kräften. Auch die alliierten Militärbehörden sind kooperativ. Ein schwarz-weißes Plakat bezeugt, dass die Heilsarmee nicht lange braucht, um ihre Hilfsangebote  an den Mann und an die Frau zu bringen. Im Archiv liegt ein vergilbtes, eingerissenes Plakat: „Die Heilsarmee eröffnet am Montag, dem 18. Juni 1945, … ihre Suppenküche für jedermann, Essenausgabe täglich von 11-1 Uhr (außer Sonntag).”

Gerade vier Wochen vorher ist der Krieg in Europa zu Ende gegangen, aber die Heilsarmee hat mit Elend und Hunger keinen Nichtangriffspakt und tut, was sie kann, die Not zu lindern. Auch der innere Hunger und die Orientierungslosigkeit müssen bekämpft werden, und es dauert nicht lange, bis die Heilssoldaten mitten in den Ruinen der Großstädte Freiversammlungen halten. Versammlungen in Wohnzimmern, in halbwegs reparierten Sälen, später in den 20 großen Holzbaracken, die die schwedischen Behörden „für alle Fälle” eingelagert hatten und nun doch nicht mehr brauchten. Andere Baracken, aus Holz oder Wellblech, ermöglichen die Aufnahme von Flüchtlingen und Obdachlosen, die Einrichtung von Tagesstätten für Jung und Alt sowie die Ausgabestellen für Care-Pakete.

In der Arbeit zwischen den Ruinen in Deutschland ist man entsetzt über die Lage der entwurzelten, hoffnungslosen Jugendlichen der zerstörten Großstädte. Stanley Preese, einem Heilsarmeeoffizier aus Großbritannien, ist es zu verdanken, dass der „Seehof” in Plön 1949 gekauft werden kann. Den Kaufpreis von DM 100.000 bringt er ganz persönlich durch viele kleine und große Spendenbeträge auf. Kindererholungsheim, Berufsschule, Freizeit- und Konferenzstätte – viele Tausende haben im Laufe der letzten 60 Jahre durch „Plön” profitiert. Aber bei seiner Arbeit mit Flüchtlingen aus dem Osten hört Major Preece auch ein Gerücht, dem er sofort auf den Grund geht.

Zigtausend Kinder, vornehmlich aus dem Ruhrgebiet, wurden während des Krieges nach Osten evakuiert. Im Chaos der letzten Kriegswochen sind Hunderte Kinder zwischen den Fronten gefangen, haben ihre Betreuer verloren, sind allein, ohne Obdach, Essen, Aufsicht. Es gibt noch keine deutsche Regierung, niemand fühlt sich verantwortlich. Und doch erzählen die Flüchtlinge von deutschen Kindern, die im Wald hausen oder bei freundlichen Bauern arbeiten dürfen. Und verzweifelte Eltern aus Essen oder Gelsenkirchen oder Bochum bitten die Heilsarmee: „Holen Sie uns bitte unsere Kinder heim!” In die Tschechoslowakei, nach Polen, ja, in ganz Nord- und Osteuropa sind die Kinder verschickt worden; es gibt keine funktionierenden Post-, Telefon- oder Zugverbindungen; die Grenzen sind geschlossen, für Deutsche allemal. Das Militär hat andere Sorgen als versprengte Kinder zu suchen und in ein schon zerstörtes Deutschland zurückzuführen. Aber Preece nutzt seine Verbindungen nach oben (und ich meine damit nicht nur die Militärregierung!) und kann persönlich 500 Kinder aus Osteuropa wieder nach Hause ins Ruhrgebiet geleiten. Insgesamt werden es mehr als 12 000 Kinder sein, die durch seine Initiative und Ausdauer mit ihren Eltern wiedervereint werden.

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