Eine Armee wird belagert
1930-1945
Anfang der 1930er Jahre: Der Heilsarmee gehts gut!
140 Soldaten gibt es zum Beispiel in Insterburg, 400 in Stuttgart 1, in Neumünster 31. 1930 gibt es circa 1,2 Million übernachtungen in Männerheimen der Heilsarmee, einen Eheberatungsdienst, ein Antiselbstmordbüro. Viele Offiziere aus Deutschland – zeitweilig fast zehn Prozent – dienen im Ausland: in Java, Indien, Osteuropa und Südamerika. Ein deutscher Offizier ist Territorialleiter in Brasilien; zum Abschied bekommt er das Wappen der „Exército de Salvação” auf die schimmernden blauen Flügel eines tropischen Schmetterlings gemalt. Aber während die Heilssoldaten bemüht sind, ihren Platz im Korps auszufüllen, spitzt sich durch die Reparationszahlungen an die Siegermächte die ökonomische und die politische Lage zu.
Deutschland wählt NSDAP. Die Heilsarmee hat von 1933 an zunehmend mit Einschränkungen zu tun. Zum Beispiel werden die militärischen Ränge verboten. Die Handhabung scheint von Gau zu Gau und von Stadt zu Stadt unterschiedlich gewesen zu sein; Zeitzeugen berichten in der einen Stadt vom Verbot der Uniform und des Kriegsrufverkaufs, in der nächsten geht alles seinen gewohnten Gang.
Im „Kriegsruf” (der offiziellen Wochenzeitschrift der Heilsarmee) werden in den 30er-Jahren regelmäßig Geburtstagsgrüße an den Führer gedruckt und auch manche Artikel der vorsichtigen Kritik. Allerdings gibt es erschreckende Artikel zur „Erblehre”, wobei man eben nicht weiß, welche Kompromisse man eingehen musste, um nicht ganz und gar verboten zu werden. Wer sich allerdings über die Abbildung von Hakenkreuzfahnen im „Kriegsruf” wundert, darf nicht vergessen, dass diese Fahne seit 1935 die offizielle und einzige Fahne des Landes war. Reiste z. B. eine Heilsarmeekapelle ins Ausland, blieb ihr nichts anderes übrig, als die Nationalfahne mitzunehmen. Eine Heilssoldatin in Bremen erinnert sich an eine Begebenheit, als zwei SA-Männer in den Korpssaal kamen und die Heilsarmeefahne durch die Nationalfahne ersetzten. „Die muss jetzt hier stehen!”, meinten sie. Die Mutter der Heilssoldatin, Lokaloffizierin im Korps, wusste, dass in vielen Ländern eine Nationalfahne im Saal steht, und antwortete ruhig: „Wenn Sie das sagen. Aber dann finden wir einen anderen Platz für unsere Fahne.” Sprach’s und stellte die Blut-und Feuer-Fahne am anderen Ende der Bußbank auf. So sollten bis zum Ende des Krieges beide Fahnen, die Nationalfahne und die Heilsarmeefahne, im Saal stehen. Und das scheint typisch für die ambivalente Haltung der Heilsarmee zu dieser Zeit zu sein. In der Regel tut man, was man absolut muss, um die Armee nicht zu gefährden. Allerdings ziehen die Behörden langsam die Daumenschrauben an, die Einschränkungen nehmen zu, Salutisten werden angeklagt, wenn sie in Versammlungen Kollekten nehmen oder um Spenden bitten.
Da Kommandeur Stankuweit herzkrank ist, übernimmt der Chefsekretär die Aufgabe, in die Prinz-Albrecht-Straße zu gehen, wenn die Gestapo dazu auffordert. Er gibt später die Zahl seiner Verhöre bei der Gestapo insgesamt mit ca. 50 an und bestätigt in einem handgeschriebenen Brief, dass er nie körperlich angegriffen wurde, bedroht allerdings schon. „Es war ein hartes Ringen um das Bestehen der Heilsarmee in jener Zeit”, schreibt er. „Finanzielle Abschnürung und Erschwerung der Tätigkeit sollten uns zur Selbstauflösung zwingen. Dies scheint das Ziel der Nazis gewesen zu sein, was durch die wunderbare Durchhilfe Gottes verhindert wurde.”
Nicht verhindern konnte man allerdings die Übernahme der vielen Sozialeinrichtungen. In den meisten konnten die Offiziere und Helfer als Mitarbeiter und Angestellte weiterarbeiten.
Ich bin ein Kind der Nachkriegszeit und vermag mir nicht vorzustellen, was Menschen während des Krieges erlitten haben. Lassen wir Johann Büsing stellvertretend für alle sprechen:„Die schweren Luftangriffe auf Berlin nahmen bei Tag und bei Nacht an Stärke zu. Die großen Gebäude und Gefängnisse der Gestapo, wo ich mich so oft hatte verteidigen müssen, wurden getroffen. Wir lebten unter dem Eindruck, dass das Ende nahe sei. Und so war es auch. Am 3. Februar 1945 kamen um 12 Uhr Tausende der furchtbaren schweren Bomber über Berlin und trafen das Herz von Berlin. Jene schwierigen Stunden verbrachten wir Offiziere am Hauptquartier zusammen mit Tausenden anderer im Bunker der Dresdener Straße, der vor unserem Haus war. Als wir … den Bunker verlassen konnten, brannte Berlin. Welch furchtbare Zerstörung sahen wir. Das Hauptquartier, das im 3. Stock unseres Gebäudes in der Dresdener Straße gewesen war, war komplett zerstört. Wir fanden nichts außer Ruinen. Das Gleiche gilt für unser Quartier in der Nähe des Hauptquartiers. Meine liebe Frau und ich wanderten in der Nacht umher. Gegen Mitternacht fanden wir zusammen mit der örtlichen Schutzpolizei, die ebenfalls ausgebombt war, eine kleine Hütte … wo Straßenarbeiter ihr Werkzeug aufbewahrten; dort blieben wir bis zum Tagesanbruch.”