„Heute würde ich zum Jugendamt gehen, als diesen Mist zu erleben!“
Patrick aus Berlin
Als Kind von den Eltern im Stich gelassen wird Patrick früh suchtabhängig und gerät auf die schiefe Bahn. 25 Jahre lang steckt er in einem Teufelskreis von Drogen, Kriminalität und Entzug. Doch jetzt zeichnet sich ein Durchbruch ab und Patrick ist entschlossen, seinem Leben eine entscheidende Wende zu geben.
Patrick sitzt uns gegenüber auf der Couch in einer Wohngemeinschaft des betreuten Wohnens der Heilsarmee in Berlin. Im Juni ist er hier eingezogen. Patrick ist pünktlich, er hat sich den Termin extra für uns freigehalten. Der hagere 41-Jährige wirkt aufgeregt, fast fahrig. Man merkt ihm an, dass er etwas mit sich herumträgt, das er loswerden möchte.
AUF TALFAHRT VON KINDESBEINEN AN
Patrick ist in einer Kleinstadt in der Schwäbischen Alb geboren. Er stammt aus schwierigen Verhältnissen. Die Eltern streiten häufig. Der Vater ist ein Despot, schlägt die Mutter regelmäßig. Als sich die Eltern trennen, ist er noch ein Kleinkind. Nach der Scheidung will sein Vater, dass der Sohn zu ihm zieht. Er setzt die Mutter unter Druck, droht mit dem Messer und will alle umbringen. Ihm geht es nicht um Liebe und Fürsorge für den Sohn. Es ist ein Machtspiel. Die Mutter hat Angst und lenkt ein. Als der Vater Patrick mitnimmt, ist er sieben Jahre alt. Eine Beziehung haben die beiden nicht. Daran wird sich auch in den Folgejahren nichts ändern.
Der Vater ist viel unterwegs und Patrick schon als Kind auf sich gestellt. Später hat der Vater eine Freundin. Mit ihr fliegt er jedes Jahr für mehrere Monate nach Thailand. Patrick bleibt alleine in der Wohnung zurück und muss für sich selbst sorgen. Da ist Patrick 13 Jahre alt. Inzwischen hat die Mutter wieder geheiratet. Weil Patrick Geld braucht, hilft er im Malerbetrieb des Stiefvaters aus. In der Freizeit hängt er mit Freunden herum. Sie rauchen und trinken regelmäßig Alkohol, probieren Marihuana und Kokain. Zum 16. Geburtstag setzt Patrick sich den ersten Schuss Heroin. Der Stoff macht ihn schnell abhängig. Doch wenn er high ist, wird alles andere unwichtig. So schlägt sich der Jugendliche die nächsten Jahre durch. „Heute würde ich zum Jugendamt gehen, als diesen Mist zu erleben,“ resümiert Patrick.
BERLIN – AUF DER SUCHE NACH DEM GLÜCK
Irgendwann beschließt er, der Kleinstadt den Rücken zu kehren und zieht nach Berlin. Hier beginnt er eine Ausbildung zum Werkzeugmacher, die er aber nicht abschließen wird. Die Großstadt hat viel zu bieten. Auch ist es leichter an Drogen zu kommen. Patrick findet schnell den Zugang in einschlägige Kreise. Doch Drogen kosten Geld und die Not macht erfinderisch. Patrick begeht kleinere Diebstähle, macht alles Mögliche, um an Geld zu kommen für den nächsten Trip.
Ein Kumpel hat einen Tipp. Er hat als Lagerist in einem Spirituosenlager gearbeitet. Am Wochenende brechen sie dort ein und entwenden Kartons mit Wodkaflaschen. Diese nimmt ihnen der Besitzer eines Spätkaufs ohne Fragen zu stellen für einen geringen Preis ab. Manchmal arbeiten sie auf Bestellung und klauen Fahrräder, Elektrogeräte oder Zigarettenstangen. Selbst ein komplett bestücktes Kaugummidisplay, dass sie aus dem Supermarkt geklaut haben, können Sie absetzen. Jemand gibt den Hinweis, dass die Chinesen alles an Milch aufkaufen und horrende Preise zahlen. Sie brechen einen Transporter auf und verkaufen die entwendeten Milchtüten an einen asiatischen Mittelsmann. „Manchmal“, sagt Patrick, „bekamen wir nicht einmal Geld für unsere Ware, sondern wurden direkt mit Kokain oder Heroin bezahlt.“
IM SOG DER DROGEN UND KRIMINALITÄT
Mit 23 Jahren ist Patrick drogenabhängig und mehrfach wegen Diebstahls vorbestraft. Er erkennt, dass er so nicht weitermachen kann. In Berlin wird er überall in Versuchung geführt. Er zieht zurück in die schwäbische Kleinstadt und fängt eine Ausbildung zum Maler und Lackierer bei seinem Stiefvater an. Doch der Hoffnung folgt schnell die Realität. Er kann der Spirale aus Drogen und Kriminalität nicht entkommen. Kein Jahr später bricht er die Ausbildung ab und zieht zurück nach Berlin. Hier, so hofft er, findet er mehr Möglichkeiten auf Hilfe, gibt es mehr Chancen auf einen Therapieplatz als in der Kleinstadt.
Doch einmal in der Szene fällt er schnell ins alte Muster zurück, nimmt weiter Drogen, verbüßt mehrere Haftstrafen. Wenn die Wirkung der Drogen nachlässt, leidet sein Körper unter dem Entzug, bis der nächste Schuss die Erlösung bringt. Ein zerstörerischer Teufelskreis. Junkie-Jogging nennen sie es, wenn die Polizei sie von ihren Aufenthaltsorten vertreibt und sie sich in der Stadt ein neues Lager aufschlagen müssen. Mit 38 Jahren ist er gezeichnet. Er wiegt nur noch 49 Kilo, trinkt täglich drei Flaschen Schnaps, nimmt Heroin und Kokain. Patrick ist körperlich und seelisch ein Wrack.
Dann wird er wieder von der Polizei aufgegriffen und diesmal zu drei Jahren Haft verurteilt, die Mindeststrafe für Beschaffungskriminalität. Davor hatte er sich immer gefürchtet. Doch Patrick hat Glück, wie er sagt. Der Knast habe ihm das Leben gerettet. Er hat eine Ärztin, die sich um ihn kümmert und der er vertraut. Im Vollzugskrankenhaus macht er einen Entzug und bekommt Methadon. Bald geht es ihm besser. Nach 14 Monaten wird er 2020 nach erfolgreicher Therapie vorzeitig aus der Haft entlassen. Er soll in einer Substitutions-WG, einer betreuten Wohnform für Suchtgefährdete des Internationalen Bundes, leben. Patrick weiß aus Erfahrung, „das schaffe ich nicht.“ Aber wo soll er sonst hin?
AUFBRUCH IN EIN NEUES LEBEN
Von seinem Bezugsbetreuer bekommt er den Kontakt zum William-Booth Haus, dem Übergangswohnheim der Heilsarmee in Berlin. Patrick meldet sich dort und trifft sich mit der leitenden Sozialarbeiterin. Sie finden schnell zueinander und Patrick fasst Vertrauen. „Eine, die von ganzem Herzen Sozialarbeit macht. Wir haben eine absolute Nähe aufgebaut und ich habe ihr alles anvertraut. In den ganzen Jahren habe ich nur zwei Sozialarbeiter kennengelernt, die mir wirklich geholfen haben. Hier aber finde ich Toleranz und Verständnis, dass Sucht nicht einfach abgelegt werden kann, wie eine alte Jacke.“
Im Juni 2020 bezieht Patrick sein eigenes Zimmer im ambulanten betreuten Wohnen der Heilsarmee. Zu seinem Sozialarbeiter hat er eine feste vertrauensvolle Bindung aufgebaut, ähnlich wie zu einem guten Freund. Diese Stabilität wird er die nächsten Monate und vielleicht Jahre brauchen, wenn er dauerhaft clean bleiben und ein weitgehend normales Leben aufbauen will. „Seit fast einem Jahr bin ich nicht mehr straffällig. Ich muss keine Angst haben, wenn es klingelt, dass die Polizei vor der Tür steht.“ Patrick wirkt gelöst.
Auf die Frage nach seinen Plänen sagt er, dass er seine Zähne reparieren lassen möchte. Die sind durch starkes Knirschen und schlechte Pflege arg kaputt und sein Meniskus bereitet ihm Schmerzen. Darauf soll der Arzt mal schauen. Aus einer Beziehung mit Anfang 20 hat er auch einen Sohn. Den würde er gerne einmal kennenlernen. Doch er hat Angst, der könne Anstoß an seiner Geschichte nehmen und nichts mit ihm zu tun haben wollen. Der Heilsarmee wünscht Patrick, dass sie mehr Geld bekommt, um Menschen wie ihm helfen zu können.