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250 Christsterne

Erlebt am Heiligen Abend

Haben Sie schon einmal versucht, 250 Christsterne mit einem VW Käfer und einem Opel Vectra zu transportieren? Es geht, wenn man sie ganz eng zusammenstellt und wenn man mehrmals fährt. 250 Christsterne (ich meine die Blumen mit den weißen und roten Blüten), ausgerechnet heute, wo ich doch nach Hause möchte.

Annette (wir waren damals verlobt) wartet doch schon auf mich. Gerade geht die Familie zur Christmette. Gleich kommen sie schon wieder nach Hause. Komme ich zum Essen noch rechtzeitig, oder fangen sie schon mal an? Warum fährt der Käfer denn nicht schneller, und warum muss alles am Heiligen Abend zusammentreffen? Der Hausmeister, der uns aufschließen soll, um die 250 Christsterne herauszugeben; kommt auch erst, als wir zum fünften Mal geschellt haben. So, nun sind die letzten Christsterne verstaut und ich sitze in meinem VW Käfer und bin auf dem Weg nach Hause. Natürlich haben sie mit dem Essen angefangen, aber zum Glück sind meine Geschenke noch da und ich packe meine Päckchen aus. Schöner Heiliger Abend, schöne familiäre Atmosphäre. Der dreistämmige Christstern für meine Schwiegermutter kommt besonders gut an. Toll, wenn man solche Geschichten erzählen kann … ja, wir standen beim holländischen Blumenhändler … ja, der Hausmeister hatte schon mit der Bescherung angefangen … kleine Kinder können nicht so lange warten … die Leute von der Heilsarmee haben doch sicher mehr Zeit … ja, Willi hat geholfen, auf den ist immer Verlass … und jetzt muss ich ins Bett. Morgen um sechs Uhr muss ich wieder zurück sein. Wir feiern die Christmette immer am 1. Weihnachtstag um sieben Uhr. Wir haben danach Frühstück. Ich muss noch Kaffee kochen und den Kuchen aufschneiden. Sie wollten dieses Jahr keinen Christstollen, als sie hörten, dass ich gelernter Bäcker bin … ja, ich habe vier Kuchen gebacken.
 
Die Kollegin meiner Verlobten leiht mir ihren Wagen. „Dann bist du schneller!“, sagt sie. Und ich bin schnell. Der Wagen schießt nur so über die Autobahn. Siegen – Solingen in Rekordzeit. Auf der gesamten Strecke begegnet mir kein Fahrzeug. Ist ja auch kein Wunder, morgens um fünf am ersten Weihnachtstag.
 
Ich koche Kaffee, ich schneide Kuchen, und plötzlich fällt mir ein: Du hast vergessen, das Treppenhaus zu putzen, du warst doch diese Woche dran. Schnell den Putzeimer geholt und noch mal durchgewischt. Uff, alles geschafft.
 
Der Männerchor singt: „Es kommt ein Schiff geladen“. Die Christmette nimmt ihren Lauf. Alle Lesungen und Lieder klappen. Die Kapelle spielt, und dann sitzen wir beim Frühstück. „Wir hatten noch nie einen Leutnant (mein damaliger Rang als Offizier), der Kuchen backen konnte!“ Na wenigstens etwas, das ich kann. Jedes Jahr Christstollen wäre doch etwas langweilig.
 
Langsam kommt Weihnachten bei mir an. Der Stress fällt ein wenig von mir ab. Das erste Weihnachten als Korpsoffizier (Gemeindeleiter). Noch nicht verheiratet und doch alles unter einen Hut gebracht. Etwas gehetzt, aber doch ergriffen von der Botschaft: „Jesus ist geboren!“
 
Und meine Gedanken gehen nach Bethlehem. Einer kleinen überfüllten Stadt im jüdischen Land. Alle Hotels belegt. Keiner, der Platz für ein verlobtes Paar hat, das zu allem Überfluss auch noch ein Kind erwartet. Warum machen die so eine Reise in so einer Zeit? Konnten die nicht zu Hause bleiben? Nein, konnten sie nicht. Es war höhere Gewalt, und damit meine ich nicht den Kaiser Augustus, der „alle Welt in Steuerlisten eintragen wollte“, sondern Gott, der dafür sorgte, dass der König der Könige, Jesus, da geboren wurde, wo schon David, der König der Juden, geboren wurde, nämlich in Bethlehem. Gott wird Mensch: in einem Stall, in einer überfüllten Stadt, in einer unruhigen Zeit, in einer unmöglichen Situation vor 2000 Jahren, und heute ist es nicht anders: Gott kommt dahin, wo kein Mensch sein möchte. Gott kommt zur unmöglichen Zeit, er kommt ungelegen. Er kommt in all den Stress, den wir mit Weihnachten haben. Noch nicht alle Geschenke gekauft und fertig verpackt. Noch nicht alle Weihnachtskarten geschrieben und zur Post gebracht. Noch nicht alle Zimmer aufgeräumt und das Treppenhaus geputzt. Gott kommt auf diese Welt und wird Mensch. Gott kommt in unsere Wirklichkeit und wird uns gleich. Gott kommt in unser Leben und mischt sich ein. Auch wenn wir noch gar nicht fertig sind, wenn wir noch nicht bereit sind, Gott kommt.
 

Weihnachten heißt: Gott wird Mensch. In Jesus Christus wird er unser Bruder, kommt er uns nah, versteht er uns und erlöst er uns. Er erlöst uns von uns selbst, von unserer Schuld und von unserem Versuch, ohne Gott mit unserem Leben klarzukommen.
 
Weihnachten heißt: Ungelegene Zeit wird zur „heiligen Zeit“, zum Heiligen Abend, zur Weihnachtszeit, weil alles andere hinter Jesus zurücksteht, weil alle Geschäfte, alle Hektik, aller Stress abfällt, wenn Jesus in diese Situationen hineinkommt.
 
Weihnachten heißt: Wir kommen aus unserer Zeit in die Gegenwart Gottes, weil Gott aus seiner für uns unsichtbaren Welt in unsere Zeit, in unsere Welt kommt.
 
„Gott ließ uns nicht laufen. Kommt und hört den Freudenton: Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott uns seinen Sohn. Er verließ den Himmel, wurde Mensch genau wie wir. Seine Armut öffnet uns die Tür“ (aus dem Lied „Gott wurde arm für uns“ von Peter Strauch).
 
Meine Gedanken über Weihnachten kommen für einen Augenblick ins Stocken, als die Hausverwalterin mich nach dem Frühstück anspricht: „Meine Güte, Leutnant, was haben Sie das Treppenhaus gestern feucht geputzt. Es war ja heute Morgen alles noch ganz nass.“

Major Alfred Preuß

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