von 0 Kommentare

„Am tiefsten Punkt meines Lebens war Gott an meiner Seite.“

Foto © borzywoj – Fotolia.com

Hans* war obdachlos. Von heute auf morgen schlief er auf Parkbänken und wühlte in Mülltonnen nach Essen. Und jeden Morgen war da die Sorge: Woher bekomme ich das Bier für den Tag? Dann wagte er einen Schritt, der sein Leben verändern sollte. Hier erzählt er seine Geschichte.

Nach der Schulzeit machte ich eine Lehre als Kfz-Mechaniker. Doch ich hatte eine Allergie gegen Reifengummi. Meine Hände sind jedes Mal dick angeschwollen. Zwei Jahre hab ich durchgehalten, dann musste ich die Lehre abbrechen. Das war schlimm für mich. Mit den anderen Lehrlingen hatte ich schon immer viel getrunken. In der Mittagspause gehörte zur Bratwurst eben auch das kühle Bier. Aber nun trank ich noch mehr.

Ich fand zum Glück später eine Stelle in einem Großlager. Auch lernte ich eine fesche Frau kennen. Erst fiel es mir nicht so auf. Doch nach unserer Hochzeit merkte ich es dann. Auch sie hatte ein Problem mit Alkohol. Also tranken wir häufig gemeinsam. In Spitzenzeiten schaffte ich über den Tag verteilt 15 bis 16 Biere. Ich fühlte mich nicht süchtig nach Alkohol. Es war halt so: Wenn ich Durst hatte, trank ich ein Bier. Auch während der Arbeitszeit. Als mein Chef das mitbekam, kündigte er mir. So wurde ich arbeitslos. Nun konnte ich meiner Frau auch nichts mehr bieten. Sie lebt ja mit von meinem Lohn. Es ging noch zwei Wochen gut. Dann sagte sie zu mir: „Du bringst kein Geld mehr heim, also verschwind‘ von hier.“ Wir wohnten ja im Haus ihrer Eltern. Meine Frau hat mich – höflich ausgedrückt – „entsorgt“. Ich packte eine Tasche mit Unterwäsche, Socken, Zahnbürste und so Kleinigkeiten und verließ die Wohnung.

Das erste Mal

Ich war immer schon ein Einzelgänger und hatte kaum Freunde. Ich hatte ja meine Frau und ihre Familie, aber ansonsten niemanden. Also wusste ich auch nicht, wohin ich hingehen sollte. Also schlief ich an diesem Tag das erste Mal draußen. Ich legte mich im S-Bahnhof auf eine Bank. Doch es kamen immer wieder Leute vorbei. Und ich kam mir auch komisch vor. Ich schämte mich. An Schlaf war nicht zu denken. Aus dieser ersten Nacht wurden viereinhalb Monate. Mit anderen obdachlosen Männern hatte ich keinen Kontakt. Ich blieb für mich. Irgendwie kam es mir auch nicht in den Sinn, jemanden um Hilfe zu fragen. Ich hatte ja noch etwas Geld. Viel wichtiger war für mich, jeden Tag genug Bier zu haben.

© britta60 – Fotolia.com

Ich schlief auf Parkbänken, in Bahnhofsecken oder tagsüber irgendwo auf einer Bank. Als alles Geld weg war, suchte ich in Mülltonnen nach etwas zu essen oder in Fußgängerzonen nach leeren Flaschen. Vom Flaschenpfand klaubte ich mir das Geld für Bier zusammen. Wie es weitergehen sollte, darüber hab ich nicht nachgedacht. Ich hatte auch keine Lösung. Am allermeisten wünschte ich mir in der Zeit, einmal auszuschlafen und in Ruhe gelassen zu werden. Fast jede Nacht wurde ich vertrieben. Von irgendwelchen Leuten oder von Bahnhofsbeamten. Ich suchte mir immer neue Schlafplätze, wo ich mich verstecken konnte. Die Angst, vertrieben zu werden, war immer da. Ich war müde, kaputt und mir war alles egal. Mitten in dieser Verzweiflung fiel mir Gott wieder ein. Nach der Schulzeit wollte ich von ihm und der Kirche nix mehr wissen. Doch jetzt in der Not ging ich in eine Kirche und betete. Ich ging nun öfters in die Kirche, denn ich glaubte, dort würde Gott mich bestimmt hören. Ich bat ihn, mir zu helfen. Und er tat es wirklich.

Entweder sterben oder zur Heilsarmee
Eines Tages sagte ich zu einem anderen Obdachlosen: „Ich kann nicht mehr.“ – „Dann geh doch zur Heilsarmee. Die helfen dir“, riet er mir. Doch als ich da so vor dem Eingang der Heilsarmee stand, sträubte sich alles in mir. Ich dachte bei mir: „So dreckig geht es dir noch nicht, dass du zur Heilsarmee gehst.“ Ich war einfach zu stolz. Doch tatsächlich ging es mir immer dreckiger. Nach ein paar Wochen war ich praktisch am Ende. Entweder du gehst jetzt zur Heilsarmee oder du wirst hier draußen sterben, dachte ich. Also nahm ich meinen Mut zusammen und ging ins Haus der Heilsarmee.

Als mich dort ein Mitarbeiter freundlich begrüßte, verlor ich meine Angst, weggeschickt zu werden. Ich dachte nämlich, dass ich für die vielleicht nur noch ein weiterer Penner von der Straße bin, der um Hilfe bettelt. Ich weiß noch, es war ein schöner Tag. Die Sonne schien und ich war vorher wieder in meiner Kirche zum Beten. Nun hatte ich die Hemmschwelle überwunden. Ich habe mir helfen lassen. Das war vor zehn Jahren.

Neustart
In den kommenden Nächten schlief ich bei der Heilsarmee. Tagsüber war ich draußen unterwegs; nachts ging ich dann dorthin. Dann wurde plötzlich eine Stelle im Putzteam bei der Heilsarmee frei. Ich habe mich angeboten, und sie gaben mir eine Chance, obwohl ich Alkoholiker war. Über das Blaue Kreuz bin ich vom Alkohol weggekommen. Es war ein harter und langer Weg. Acht Jahre hat es gedauert. Nun bin ich schon seit zwei Jahren trocken. Der Alkohol hätte mich noch umgebracht. Die Heilsarmee ist wie eine Familie für mich. Ich hab wieder Boden unter meinen Füßen bekommen. Letztes Jahr bin ich Mitglied der Heilsarmee-Gemeinde geworden. Ich lese in der Bibel und bete zu Gott. Er ist immer an meiner Seite und hat mir auch geholfen, eine Wohnung zu bekommen. Dafür danke ich ihm.

Ich bin von ganz oben nach ganz unten gefallen. Doch am tiefsten Punkt meines Lebens war Gott an meiner Seite. Ich habe ihn verlassen, aber er hat mich nie verlassen. Als ich auf der Straße gelebt habe, wusste ich nicht, dass es für Menschen wie mich Hilfsangebote gibt. Und ich habe mich geschämt. Daher möchte ich jedem raten, der in einer ähnlichen Situation ist, sich helfen zu lassen. Nicht nur mit einer Unterkunft oder Essen, sondern auch, vom Alkohol wegzukommen. Ohne die Unterstützung durch andere Menschen ist das nicht zu schaffen.

Protokoll: Romy Schneider

* Name von der Redaktion geändert

Zurück