von 0 Kommentare

Die Hauptsache

Kapitel 18 aus „Begegnung mit Jesus“

In den frühen Tagen der Heilsarmee in East London wurden ihre Leiter als „Verkündiger“ (Evangelisten) bezeichnet und das ent­sprach genau dem, was sie taten: Sie erreichten die Verlorenen und führten sie zu Christus. Für viele war das Predigen des Evangeliums die ­einzige Aufgabe. So konnten zwar viele errettet werden, doch sie wussten nicht, was sie nachher mit diesen Menschen anfangen sollten. Häufig gehörten auch soziale Arbeit und das Lindern physischen und materiellen Mangels zur Evangelisationsarbeit, aber bei aller sozialen Arbeit mit diesen Menschen war das vorderste Ziel immer das ewige Heil. Im Jahr 1866 (Erste Zeit der Gründung der Heilsarmee) wütete eine Choleraepidemie, die Arbeitslosigkeit war hoch und die Bevöl­kerung litt. Doch selbst in diesen Zeiten behielten William Booth und seine Helfer immer die Christliche Mission im Blick und reduzierten ihre Arbeit nicht auf das bloße Verteilen von Essen, Kleidung, Decken etc. Es ging ihnen stets darum, ihre Mitmenschen für die Ewigkeit zu erretten.

Auch als die Organisation weiter anwuchs, stand die Verkündigung immer im Mittelpunkt. Im Gegensatz zu anderen Missionen gelang es der Heilsarmee, die mit dem Evangelium erreichten Menschen in der Organisation zu behalten und dauerhaft einzugliedern. Dabei blieb es stets die oberste Priorität der Mission und der Verkün­diger, die ­Verlorenen zu erreichen. Natürlich war es auch wichtig, die Bekehrten zu betreuen, doch im Vordergrund stand immer die Errettung möglichst vieler Menschen. Sobald ein Mensch errettet wurde, erhielt er Unterweisungen und wurde ausdrücklich ermutigt, auch seine Familie und Freunde zu Jesus zu führen. William Booth nahm einmal seinen Sohn in einen dreckigen, verrauchten Pub mit und sagte zum jungen Bramwell: „­Willie, das hier sind unsere Leute. Für diese Menschen sollst du leben und sie sollst du zu Christus führen.“ Dies waren die Worte eines gottesfürchtigen Vaters an seinen Sohn. Doch wenn man das Leben dieser Leute in Bezug auf die Ewigkeit betrachtet, die ohne Christus leben, sind es dann nicht viel eher die Worte Gottes an uns alle?

Für die meisten Kirchen in diesem Land gilt wohl, dass sie sich nicht mehr so sehr auf das ewige Seelenheil konzentrieren. Was ­früher ­einmal das Hauptanliegen der Kirche war, spielt heute nicht mehr die entscheidende Rolle. Dafür gibt es verschiedene Gründe.

Die Kirchen sind viel zu sehr mit ihrer „Kirchenarbeit“ beschäftigt und verfügen weder über die finanziellen, noch über die personellen Mittel.

Es geht ihnen vielmehr darum, die Institution am Laufen zu halten als sie für Evangelisation zu mobilisieren. Häufig sind sie viel mehr damit beschäftigt, ein veraltetes „Fahrzeug“ in Stand zu halten, als die eigentliche Botschaft weiterzugeben, die die Kirche überbringen soll.

Es ist viel leichter, sich um das körperliche Wohlergehen eines Menschen zu kümmern als um seine geistlichen Bedürfnisse.

Uns ist der Glaube verloren gegangen:

Der Glaube an die Bibel als das Wort Gottes.

Der Glaube an die Wahrheit über Gottes Gerechtigkeit, die Ernsthaftigkeit der Sünde und den Zorn Gottes und sein Gericht.

Das Vertrauen, dass Gott in die Herzen der Menschen eindringen und die Verlorenen erretten will.

Doch vor über hundert Jahren entfernten wir uns von dieser „Hauptsache“, dem bis dato größten Anliegen. In seinem Vortrag mit dem ­Titel „Warum gehen die Engländer nicht mehr in die Kirche?“ setzt sich Dr. Michael Watts in der Tiefe mit diesem Thema auseinander und berichtet, dass die höchste Quote für den freiwilligen ­Kirchbesuch1 bei einem Zensus am Sonntag, den 30. März 1851 ­erfasst wurde, als fast 40% der Bevölkerung zum Gottesdienst ging. Er arbeitete heraus, dass dies an der Bildung lag, die den Kindern durch die Anglikanische Kirche vermittelt wurde und auch an der Evangelisation durch die nachfolgende Generation der sog. Nonkonformistenbewegung.

Dr. Watts analysierte 670 Bekehrungserlebnisse von Nonkonformisten, die laut eigenen Aussagen zwischen 1780 und 1850 von sich sagten, sie seien bekehrt. Über ein Drittel dieser Menschen waren als Anglikaner aufgewachsen und hatten als Kinder gelernt, dass „jeder gesündigt hat und nicht mehr Gottes Gnade würdig ist“ und daher mit ewiger Verdammnis für das Brechen von Gottes Geboten bestraft wird.

Dr. Watts schließt daraus: „Die evangelischen Verkünder des Wortes Gottes mussten den Menschen erst beibringen, dass sie das Opfer Jesu durch den Glauben annehmen mussten, das er für die Sünder an der Stätte Golgatha erbrachte, um so der Hölle entgehen zu können.“ Aus dieser Analyse geht laut Dr. Watts hervor, dass die Hauptgründe, warum diese 670 Bekehrten die Botschaft der Verkündiger des Wortes Gottes annahmen, in der „Angst vor dem Tod, Angst vor dem jüngsten Gericht und vor allem in der Angst vor dem ewigen Höllenfeuer“ lagen.

Dr. Watts beschäftigte sich tiefgehend mit dem Rückgang der Kirchbesuche und untersuchte dafür historische Dokumente der einzelnen Konfessionen und weitere Quellen und stellte dabei stets sicher, dass er nur Gleiches mit Gleichem verglich, da es in den folgenden Jahrzehnten keinen vergleichbaren, allumfassenden ­obligatorischen Kirchenbesuch mehr gab. Die konstant hohen ­Besuchszahlen der Sonntagsgottesdienste in den 30 Jahren nach dem Zensus von 1851 gehen ihm zufolge auf die neue Erweckungsbewegung zurück, die 1859 ihren Anfang nahm. Der Rückgang setzte dann Mitte der ­1880er-Jahre ein.

Was führte nun also zu diesem Rückgang, der bis heute ­anhält? Einige argumentieren, dass die Schuld bei Darwins „Über die Entstehung der Arten“, bei der Blüte der britischen Wissenschaft oder sogar bei der wachsenden Bibelkritik aus Deutschland zu suchen sei - möglicherweise seien auch alle drei Faktoren dafür ­verantwortlich. Diese Faktoren haben die Botschaften der Kirche zwar ­möglicherweise in den Hintergrund gedrängt, doch sie wa­ren damals wider ­Erwarten nicht die Hauptsorge der Kirche. Religiöse Schriften der 1860er- und 1870er-Jahre legen nahe, dass die „Neuinterpretation oder gar Zurückweisung der orthodoxen Lehre von der zukünftigen Bestrafung“ für die Kirchen viel ­besorgnis-erregender war. Jene Kirchenvertreter, die sich gegen diesen Wandel in der Lehre wandten, sahen in ihm die größte Bedrohung für die Zukunft der Kirche.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte noch die Überzeugung vorgeherrscht, dass gottlose Menschen die Ewigkeit in der ­Hölle verbringen würden und dies hat viele Leute dazu gebracht, sich zu bekehren. In der zweiten Hälfte jedoch stieß diese Lehre ­vielen Christen sauer auf. Als F.W. Farrar sein Buch „Ewige Hoffnung“ veröffentlichte, in dem er das Konzept der ewigen Ver­dammnis zurückwies, erhielt er viele zustimmende Briefe, in denen die An­sicht vertreten wurde, dass sich gerade deshalb so viele Arbeiter vom Christentum abwandten, weil es noch immer an der Lehre von der „ewigen Verdammnis für die Mehrheit aller Menschen“ fest­hielte.

In der Folge wandelten sich die Ansichten vieler Kirchenvertreter und sie predigten nicht mehr von der ewigen Bestimmung der Verlorenen und der Erretteten, sondern konzentrierten sich stattdessen ­darauf, das Leben hier auf der Erde angenehmer und besser zu ­ge­stalten und den Nichtchristen damit eine attraktivere, leichter verdauliche, weniger entscheidungsträchtige und harmlosere Botschaft zu vermitteln. Doch statt zu steigenden Besuchszahlen führte diese neue Ausrichtung nur dazu, dass die Gemeinden schrumpften. Dr. Watts merkt hierzu an: „Das liberale Christentum half nicht die Kirchen zu füllen, es trug dazu bei, dass sie sich leerten.“ Die Kirchen boten, so George La Noue und Dean Kelley, „Gemeinschaft, Unterhaltung und Wissen“ und waren damit kein Bisschen besser als die weltlichen Einrichtungen. Parallel dazu schafften sie den einen Anreiz ab, den Christus der Kirche gab: Erlösung, das Versprechen auf das ewige Leben und das Weiterleben nach dem Tod.

Der berühmte Baptistenprediger Charles Spurgeon machte sich große Sorgen, dass der orthodoxe Glauben verkümmert und ­„her­abgewürdigt“ werden könnte, wenn man die Wahrheiten der Buße und der ewigen Bestrafung abschaffe. Er war überzeugt, dies würde zum Niedergang der Kirche führen. Historisch gesehen war etwas Der­artiges bereits einmal vorgekommen. Im vorangegangenen ­Jahrhundert war das englische Presbyterianertum liberaler geworden und hatte nachfolgend an Bedeutung verloren.

Spurgeons Auflehnung begann 1887 und führte schließlich zu ­seinem Austritt aus der Union der Baptisten. Er und seine Anhänger, die immer noch an der ewigen Bestrafung der Verlorenen fest­hielten, wurden zu einer Peinlichkeit für die Vertreter des neuen Denkens. Auch William Booth muss sich dieses Wandels in der kirchlichen Lehre bewusst gewesen sein. Als er zu Beginn des zwan-zigsten Jahr­hunderts von einer amerikanischen Zeitung gefragt wurde, worin er die größte Bedrohung des neuen Jahrhunderts sehe, antwortete er: „Als Antwort auf Ihre Frage sehe ich die Haupt­gefahren dieses Jahr­hunderts in der Religion ohne den Heiligen Geist, in der Christenheit ohne Christus, in Vergebung ohne Reue; Errettung ohne Heil; Politik ohne Gott und in einem Himmel ohne Hölle.“

Es ist nur logisch, dass die Sünde keine ernste Gefahr mehr dar­stellt und nicht mehr so unerträglich und widerwärtig erscheint, wie Gott sie in der Bibel beschreibt, wenn sie ungestraft bleibt. Gottes Zorn erscheint dann irrational, unvernünftig und ungerecht. Wenn es keine ewige Bestrafung mehr gibt, warum hat Gott dann alles daran gesetzt und einen so hohen Preis gezahlt, um uns davor zu schützen? Kurz gesagt: Wozu brauchen die Menschen einen Erlöser, wenn es nichts gibt, wovon sie erlöst werden könnten - von den Widrigkeiten ihres kurzen Lebens einmal abgesehen? Würde ein wahrhaft göttlicher Gott sich überhaupt dazu herablassen, Mensch zu werden und zu leiden, wenn unsere Sünden, seine Liebe und sein Sehnen nach uns gar nicht so bedeutsam wären?

Wenn wir ihm nur näher wären, würden wir die Wahrheit kennen, seine Last tragen, die Welt aus seiner Perspektive sehen und die Worte der Bibel und des Heilands wieder ernstnehmen und einsehen, dass Sünde und Bestrafung ganz real sind. Sicherlich gibt es Dinge, die wir nicht begreifen und die nur schwer verdaulich sind. Das ist nichts Neues. Wir, die wir in dieser aufgeklärten, wissenschaftlichen und wissensdurstigen Zeit leben, sind nicht die Ersten, die die Schwierigkeiten und die Fragen sehen, die sich nicht beantworten lassen. Doch für uns gilt das Gleiche wie für unsere Vorväter: Wir dürfen uns davon nicht von dem Vertrauen abbringen lassen, dass die Bibel das Wort Gottes nicht nur enthält, sondern dass sie das wahrhaftige Wort Gottes ist.

Während sich die Akademiker darüber streiten, welche Bibelpassagen Mythen, Fakten oder Gleichnisse sind, müssen wir weiterhin an unserer Wahrheit festhalten, dass Gott uns die Bibel in dieser Form gegeben hat und sie als sein Wort anerkennen. William Booth war sich dieser Debatte bewusst und sagte, man müsse die Bibel als „die einzig wahre und glaubwürdige Enthüllung von Gottes Geist“ ansehen (Die Bibel, ihre Göttliche Offenbarung, Inspiration und Autorität).

Tatsächlich werden Theorien, die von einer Generation als faktisch wahr angesehen werden, von der nächsten Generation oft wieder verworfen wie aus der Mode gekommene Kleidung. Unbe­stritten ist jedoch, dass Gott durch sein Wort, die Bibel, große Werke getan hat und sie noch heute tut. Er verändert Gedanken, Herzen und Leben, ja sogar ganze Gemeinden, indem sie sein Wort kennenlernen, studieren und seine Lehren befolgen. Gott selbst bestätigt durch seine Taten, wenn wir die Bibel befolgen, dass er uns wohlgesonnen ist und dass es sich wahrhaftig um sein Wort handelt.

Als Gott sich uns durch Jesus offenbarte, erkannten wir in diesem Gott aus unserer persönlichen Erfahrung den Gott der Bibel - er wurde lebendig. Verse, die uns vielleicht vorher langweilig und öde vorkamen, waren auf einmal eine spannende Lektüre. Welches andere Buch kann jemals bewirken, was dieses Buch bewirkt?

Susan Budd analysierte die Erlebnisse von 150 weltlich lebenden Menschen, aus den Jahren zwischen 1850 und 1950, die sich vom Christentum abwandten, . Ein entscheidender Faktor für ihre Ab­lehnung des Christentums war die Ansicht, dass die Lehren der Kirche wie z.B. ewige Bestrafung, die Hölle, Buße und Verdammnis für Ungläubige moralisch falsch seien.

Was machen wir also mit denjenigen, die unsere Botschaft inakzeptabel, untragbar und abstoßend finden? Sollen wir etwa die Wahrheit abändern, nur weil sie manchen Menschen nicht ins Konzept passt? Wir tun der Heiligen Schrift keinen Gefallen, wenn wir uns bei der Welt und ihren Ansichten anbiedern. Die Kirche hat versucht, für die Männer und Frauen der modernen Welt wieder relevanter zu werden und hat dabei genau das Gegenteil erreicht. Die Geschichte des Christentums und der Bibel lehrt uns, dass das erlösende Evangelium schon immer für viele Menschen eine Art Stolperstein oder eine Lächerlichkeit dargestellt hat. Die Mehrheit hat sich davon­immer abge­stoßen und beleidigt gefühlt. Es hat immer Feindseligkeit und Ab­lehnung hervorgerufen - man sehe sich nur einmal die Apostelgeschichte oder die Lebensläufe von Menschen wie John Wesley an. Doch wo es ohne Kompromisse und im festen Glauben ­vorgetragen wurde, hat Gott stets geantwortet und unser Bestreben mit reichen Früchten gesegnet.

Wir sollten uns voller Vertrauen wieder auf die Bibel als Gottes Wort, als Gottes Wahrheit zurückbesinnen. Lasst uns voller Zuversicht ­annehmen, was sie uns über Gottes Gerechtigkeit, die ­Ernst­haftigkeit der Sünde, über Gottes Zorn und Richterspruch und über Gottes Gnade berichtet, die Menschen aus ihrer Leere erlöst. Lasst uns darauf vertrauen, dass Gott in die Herzen der Menschen eindringen und die Verlorenen erretten will.

1 Vor dem 19. Jahrhundert besuchte die Mehrheit der englischen Bevölkerung nur selten den Gottesdienst. Das Einzige, was sie zum regelmäßigen Kirchgang bewegen konnte, war die Androhung von Strafzahlungen oder Inhaftierung. Es gab natür­lich auch weiterhin Menschen, die nur aus Gehorsam zum Gottesdienst gingen oder um ihren Vermieter oder Arbeitgeber zufriedenzustellen, doch die Mehrheit der Befragten von 1851 ging freiwillig in die Kirche.

Zurück