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Führung in der Dunkelheit

Kapitel 4 aus „Begegnung mit Jesus“

Es gibt kein aufregenderes Leben als das einer vom Heiligen Geist erfüllten Person, die voll unter der Führung des Heiligen Geistes lebt. Wie oft bin ich schon - ängstlich wie ein kleines Kind – nachts in die Dunkelheit hinaus getreten und habe dort am majestätischen Nachthimmel etwas von der Kraft, der Schönheit und des Lichtes ­unseres mächtigen Gottes und seiner Herrlichkeit sehen dürfen. Ich bin vielleicht zögerlich und ängstlich hinausgetreten, doch die ­Tatsache, dass ich trotz meiner Gefühle den Schritt nach draußen gewagt und mich überwunden habe, zeugt für Gott von genug Glauben, um mir zu begegnen. Der Heilige Geist leitet uns auf ganz unterschiedliche Arten: Beim Schreiben eines Briefes, den wir scheinbar grundlos an einen Unbekannten schicken; wenn wir uns auf ein neues Abenteuer einlassen, für das wir noch nicht ganz gewappnet sind; oder wenn wir ganz spontan jemanden besuchen, den wir vielleicht Jahre zuvor nur einmal kurz getroffen haben.

Nach einem langen Tag saß ich einmal im Schlafanzug auf der Bettkante und suchte in meinem Nachttisch nach Unterlagen für den kommenden Morgen. Als ich die Unordnung sah, entschloss ich mich, die Schublade vor dem Schlafengehen noch schnell aufzuräumen. Dabei entdeckte ich ein kleines Notizbuch, das ich ganz vergessen hatte. Ich konnte nicht widerstehen und blätterte es durch. Es war voller Anmerkungen und Erinnerungsnotizen, enthielt Gedanken für Predigten bis hin zu Einkaufslisten meiner Frau Judy, die mich bat, ihr gewisse Dinge einzukaufen.

Ab und zu stand da auch ein Name mit Adresse. Einer dieser Namen weckte ganz besonders mein Interesse - warum, weiß ich auch nicht. Der Name war weder in Großbuchstaben geschrieben, noch unterstrichen, noch konnte ich mich an diese Frau erinnern. Es war eine Mrs Woolley, ihre Adresse stand direkt darunter, gefolgt von den ersten Zeilen zweier Kirchenlieder, einigen anderen Notizen und dem Namen eines Bestatters. Ich ging davon aus, dass ich die Notizen wohl gemacht haben musste, als der Bestattungs­unternehmer mich am ­Telefon bat, einen Trauergottesdienst abzuhalten. Da ich mich aber an nichts erinnern konnte, nahm ich an, dass Mrs Woolley die Tochter des Verstorbenen sein musste.

Eine ganze Weile brütete ich über diesen Eintrag in meinem ­Notizbuch. Da hatte ich eine Idee: Warum nicht Mrs Woolley mit einem spontanen Besuch überraschen? Prompt folgte der Gedanke: Was für eine alberne Idee, als hätte ich diese Woche nicht schon ­genug zu tun! Und warum sollte ich überhaupt jemanden besuchen, an den ich mich nicht einmal erinnern konnte? Ich legte das Notizbuch zurück in die Schublade, legte mich hin, machte das Licht aus und schlief kurz darauf ein.

Am nächsten Morgen war der Eintrag das Erste, woran ich nach dem Aufwachen dachte. Warum ausgerechnet dieser Eintrag unter vielen mich nicht loslassen wollte, war mir nicht klar. Doch ich zog das Notizbuch aus der Schublade, schlich mich nach unten, kochte Tee und vertiefte mich in mein Bibelstudium und ins Gebet. Ich fragte Gott, ob das ein Zeichen von ihm wäre und ob er vielleicht ein wenig deutlicher werden könne. Ich erhielt keine Antwort. Nach dem Gebet steckte ich das Notizbuch in meine Jackentasche.

Die Woche war ziemlich hektisch, es gab viel zu erledigen, Hausbesuche und jede Menge Probleme, die gelöst werden wollten. Ehe ich mich versah, war es Freitag und ich hatte das Notizbuch und den ­Eintrag schon wieder ganz vergessen. Normalerweise verbrachte ich den Freitag in meinem Büro im Gemeindesaal mit Verwaltungs­aufgaben, während nebenan das wöchentliche Kaffeetreffen stattfand. So war ich immer erreichbar, wenn jemand mit mir reden wollte oder meine Hilfe benötigte. Ich machte ungefähr jede Stunde eine kurze Pause und ging hinüber zu den Kaffeegästen, begrüßte jeden und widmete mich dann wieder dem Papierkram.

An diesem Freitag wurde meine Routine allerdings unterbrochen. Ich hatte eine Anzeige für ein gutes, gebrauchtes Klavier ge­sehen, welches jemand in einem kleinen Dorf außerhalb der Stadt verkaufte. Wir brauchten dringend ein Klavier für den Gottesdienstsaal und für die Jugendarbeit, und dieses konnten wir uns tatsächlich leisten. Der Chorleiter konnte nur freitags mit mir zusammen hinfahren und einen Blick darauf werfen.

Wir fuhren also gemeinsam hin, prüften das Klavier und den Klang, vereinbarten den Kauf und organisierten die Lieferung. Auf dem Rückweg in die Stadt setzte ich Charlie bei sich zu Hause ab. Für ein schnelles Mittagessen zu Hause war es schon zu spät. Außerdem wollte ich noch Hausbesuche im West-End machen, also fuhr ich ­weiter in diese Richtung.

Auf dem kurzen Weg zu meinem ersten Hausbesuch fiel mir ein Straßenname auf: Frank Webb Avenue. Da klingelte etwas bei mir. Ich fuhr sofort an den Straßenrand und hielt an. Ich holte das ­Notizbuch heraus und schaute den Eintrag nach. Und tatsächlich - das war die Straße, in der Mrs Woolley wohnte. „Hmmm“, dachte ich, „will mir Gott damit vielleicht etwas sagen?“ Ich wendete mein Auto, fuhr ein kleines Stück zurück und parkte direkt vor dem Haus. Mich beschlich die Ahnung, dass ich aus gutem Grund hierher geführt worden war und ich ging zuversichtlich den Gartenweg zur Haustür entlang, ­klopfte und wartete. Niemand machte auf, es war keiner zu Hause. Also stieg ich wieder ins Auto und dachte mir: „Was bildest du dir auch ein - du mit deiner überbordenden Fantasie. Wenn Gott dich wirklich hergeschickt hätte, dann wäre auch jemand dagewesen!“

Ich wollte schon wieder losfahren, als es mir durch den Kopf ging: „Was, wenn Gott möchte, dass ich Kontakt aufnehme? Du kannst ja einfach eine Notiz dalassen, was hast du schon zu verlieren? Wenn du aber keine Notiz dalässt und du hättest eigentlich den Kontakt her­stellen sollen, dann hast du ein echtes Problem.“

Im Notizbuch war keine Seite mehr frei, also suchte ich im Handschuhfach und fand schließlich einen Handzettel. Auf die Rückseite schrieb ich: „Liebe Mrs Woolley, vielleicht erinnern Sie sich an mich. Ich habe vor einiger Zeit den Trauergottesdienst für Ihre Mutter abgehalten. Ich wollte nur wissen, wie es Ihnen geht und ­Ihnen sagen, dass Sie mich jederzeit anrufen können, wenn Sie mich brauchen.“ Darunter setzte ich meinen Namen.

Ich wollte gerade auch meine Telefonnummer dazuschreiben, als mir der Gedanke kam, sie könnte sich vielleicht genötigt fühlen, mich anzurufen. Ich wollte sie nicht bedrängen. Wenn Gott wirklich gerade durch mich wirkte, dann würde sie schon einen Weg finden, mich zu kontaktieren; auch dann, wenn sie vielleicht nicht sofort wüsste, wo sie mich suchen sollte. Falls ich mir da aber gerade irgendeinen ­Unsinn im Kopf zusammenspann und ganz falsch lag, wollte ich ihr auch keine Angst machen oder sie zum Anruf drängen. Ich warf die Notiz in den Briefschlitz und die Sache war erledigt. Den weiteren Nachmittag verbrachte ich wie geplant.

Am Tag darauf, es war Samstag, verbrachte ich einen der seltenen Abende mit der Familie. Draußen stürmte es und der Starkregen peitschte gegen die Fenster. Ich spielte gerade vergnügt mit meinen drei Jüngsten, als plötzlich das Telefon klingelte. Widerwillig ging ich dran.

„Hallo, ist da der Kapitän?“ „Ja“, antwortete ich.

„Hier ist Sonia.“ „Sonia?“

„Ja. Sie waren gestern bei mir zu Hause. Sonia Woolley.“­ „­Oh, ­      Mrs Woolley, wie schön, von Ihnen zu hören.“

„Hätten Sie kurz Zeit?“, fragte sie.

„Natürlich“, antwortete ich.

Sie erzählte: „Ich muss ständig an Ihren Besuch gestern denken. Im letzten Jahr habe ich über vieles nachgedacht und hatte auch vor, zur Kirche zu gehen, aber meine Freunde bei der Arbeit lachen mich dann immer aus und meinen: ‚Du wirst doch jetzt nicht etwa total religiös, oder‘? Oder sie wollen mit mir gemeinsam hingehen, aber das kommt dann doch nie zustande.

Mir ging es in letzter Zeit nicht besonders gut. Mein Mann ist wirklich lieb, aber er versteht das einfach nicht. Ich war außerdem neulich krank und bin von der Arbeit aus zum Arzt gegangen. Seine Praxis ist in der Innenstadt. Auf dem Rückweg zur Bushaltestelle habe ich das Kaffeetreffen-Schild am Heilsarmee-Saal gesehen und da sind Sie mir wieder eingefallen. Ich bin dann hineingegangen und habe geschaut, ob Sie vielleicht da sind und Zeit für ein Ge­spräch haben. Die Damen waren sehr nett und meinten, dass Sie normalerweise ­jeden Freitagmorgen da wären, aber gestern waren Sie woanders. Ich war enttäuscht, habe meinen Kaffee getrunken und habe den Bus zurück zur Arbeit genommen.

Als ich abends nach Hause kam, war mein Mann schon da. Ich war ganz überrascht, als er mir aufmachte und sagte: ‚Hi Sonia, weißt du was? Jemand von der Heilsarmee hat dir eine Notiz dagelassen‘. Ich bin fast hintenübergefallen.“

Ich konnte es kaum glauben. Ich fragte sie, wann ich den Trauergottesdienst für ihre Mutter abgehalten hatte. Sie erklärte, dass es der Trauergottesdienst für ihre Tante gewesen war, nicht für ihre Mutter. Das war ein Jahr zuvor gewesen, im Mai. Ich hatte Sonia fünfzehn Monate aus den Augen verloren, und ausgerechnet an dem Tag, als ich Kontakt mit ihr aufnehmen wollte, hatte auch sie mich gesucht. Zufall?

„Ich versuche, morgen zum Gottesdienst zu kommen. Gibt es einen Abendgottesdienst?“

„Ja, den gibt es. Der ist um 18:30 Uhr. Ich werde nach Ihnen Ausschau halten.“ - „Ich bin ein bisschen nervös, vielleicht schaffe ich es auch nicht.“

„Machen Sie sich keine Sorgen. Überwinden Sie sich einfach - Sie werden es nicht bereuen. Es sind immer nette Leute da.“

„Ich glaube, Gott hat Sie zu meinem Haus geführt und steckt hinter alledem“, fügte sie hinzu.

„Das tut er“, antwortete ich. „Da habe ich gar keinen Zweifel.“

Am Abend darauf wartete ich angespannt im Foyer des Gemeindesaals auf Sonia. Ich konnte mich nicht mehr genau erinnern, wie sie aussah. Obwohl ich nicht wirklich wusste, nach wem ich eigentlich Ausschau hielt, erkannte ich sie sofort, als sie hereinkam; und mit ihr kam eine wahre Flut von Erinnerungen. Ich erinnerte mich ­wieder, wie ich fünfzehn Monate zuvor die Beerdigung ihrer Tante vorbereitet hatte, wie sie mir erzählte, was für eine liebenswerte, gläubige ­Christin ihre Tante gewesen war und wie ich mich gefragt hatte, ob Sonia wohl auch gläubig war. Damals hatte ich mich gefragt, wie ich das herausfinden könnte, ohne zu aufdringlich zu erscheinen. Ich sagte ihr damals, ich hätte ihre Tante gerne kennengelernt - sie muss eine wirklich liebenswürdige Frau gewesen sein. Daran schloss ich die Frage an, welchem Glauben ­Sonia denn angehörte und wie ihre Beziehung zu Gott sei. Sie hatte verärgert reagiert - ich solle ihr doch bitte jetzt nicht mit Religion kommen (was ich auch gar nicht vorhatte).

Wenn ich mich eher an diesen Vorfall erinnert hätte, dann hätte ich sie womöglich gar nicht erst kontaktiert! Mir fiel auch ­wieder ein, dass ich nach der Beerdigung vorbeigeschaut hatte um zu ­sehen, wie es ihr ging. Sie hatte ihrer Tante sehr nahe gestanden und war beim ­Begräbnis entsprechend aufgewühlt gewesen. Da sie mir schon vor der Beerdigung klar und deutlich ihre Meinung gesagt hatte, erwähnte ich damals weder Glauben, noch Gott, Religion oder ­Spiritualität im Allgemeinen. Ich ließ sie lediglich wissen, dass ich mir um sie Sorgen machte, genau wie für alle anderen Nichtgläubigen, für deren Angehörige ich Trauergottesdienste abhielt. Sollte sie jemals Hilfe brauchen, könne sie mich kontaktieren; sie sei mir auch dann wichtig, wenn sie auch nicht zur Kirche ginge. Daran hatte sie sich anscheinend erinnert.

Sonia nahm fortan an den Sonntagabendgottesdiensten teil und übergab ihr Leben wenige Monate später Jesus, den sie als ­ihren ­Erlöser und Freund annahm. Später erfuhr ich, dass sie an jenem ­regnerischen Samstag eine ganze Weile durch den Regen zur nächsten Telefonzelle gelaufen war, da sie kein Telefon zu Hause hatte und feststellen musste, dass irgendwelche Vandalen den Apparat in der nächsten Telefonzelle zerstört hatten. Sie war so überzeugt, dass meine Notiz eine Nachricht des Herrn war, dass sie noch einige hundert Meter weiter durch den Regen in die Stadt lief und dabei bis auf die Knochen nass wurde.

Wir unbedeutende Sterbliche können oft nur erahnen, was Gott von uns verlangt oder ob unsere Empfindungen ein Zeichen von ihm sind. Manchmal ist alles sonnenklar, aber meiner Erfahrung nach ist das oft nicht der Fall. Ich habe Gott schon manches Mal um ein deutliches Zeichen gebeten und ihm versprochen, dass ich es auch nicht weitererzähle, wenn ich seinen Fingerzeig in den Wol­ken sehe. Noch nie ist mir ein Licht oder Gottes Finger erschienen, noch nie habe ich seine Stimme laut vernommen, doch führt er uns auch im Dunkeln - auch, wenn wir uns dessen nicht bewusst sein mögen. Wie sonst wäre eine Geschichte wie diese möglich?

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