Haltet den Topf am Kochen
Als ich als junger Heilsarmee-Offizier nach Solingen kam, wurde ich sofort ins Weihnachtsgeschehen geworfen. Da gab es neben vielen anderen Aktivitäten auch die sogenannte Topfkollekte. Die Spenden flossen reichlich und wir waren in der Lage eine Weihnachtsbescherung für 100 Menschen anzubieten. Jeder Gast bekam eine Tüte mit Lebensmitteln aber für viele war es die Feier, die mehr zählte als die Geschenktüte. Das Musikkorps spielte die Weihnachtsmelodien, der Chor trug einige Lieder vor und die Gäste sangen aus voller Kehle mit, wenn „O du Fröhliche“ oder „Stille Nacht“ angestimmt wurden. Auch der Predigt wurde aufmerksam gelauscht.
Eine Frau wollte bei ihrer Ankunft ihren dicken Wintermantel nicht ausziehen. Der Saal war zum Bersten voll und es breitete sich eine fast unangenehme Hitze aus. Schließlich gab sie beschämt zu, dass sie kein Kleid anhatte. Glücklicherweise konnten wir ihr in unserem Kleiderladen helfen und sie konnte Weihnachten im neuen Kleid feiern.
Auch in diesen Tagen finden Topfkollekten und andere Sammlungen der Heilsarmee statt. Weihnachtsbescherungen sind heute wie in den vergangenen 136 Jahren Bestandteile unserer sozialen Arbeit für Menschen, denen es nicht so gut geht. Wir möchte ein wenig Weihnachtsfreude vermitteln und auf die Geburt des Retters, Jesus Christus, hinweisen.
Majorin Christine Schollmeier (1948 – 2015) schreibt dazu:
„Berlin, Heiligabend 1897. Vor dem großen Gebäude am Blücherplatz, wo die Heilsarmee ihre Nationale Zentrale im zweiten Stock hat, steht eine junge Frau und schaut verzweifelt auf den bunten Christbaum im Schaufenster. Sie schwankt. Die Entbindung ist nicht einmal zwei Wochen her und sie und ihre kleine Grete sind obdachlos. Als schwanger gewordenes Dienstmädchen wurde sie auf die Straße gesetzt. Ohne Referenzen und mit einem Baby hat sie keine Hoffnung auf einen Arbeitsplatz. Frohe Weihnachten – wird es für sie dann aber doch, denn jemand von der Heilsarmee hat sie gesehen und bringt Mutter und Baby sofort ins neu eröffnete „Rettungsheim“ im grünen Berliner Vorort Friedenau. Die junge Mutter kann sich erholen. Später adoptiert die Heimleiterin, Adjutantin Meidinger, die kleine Grete, und ihre Mutter kann wieder eine Arbeitsstelle finden. Andere Alternativen gibt es vor über 100 Jahren kaum. Aber das „Weihnachtsgeschenk“ Grete wird in der Welt noch weit reisen: Ihre Adoptivmutter heiratet später den Leiter der Heilsarmee in Deutschland, Kommandeur McKie, und als sie nach Australien versetzt werden, zieht die vierjährige Grete mit. Das ganze Hauptquartier ist offensichtlich in das kleine Wesen vernarrt, denn es gibt mehr Berichte zur Frage „Wie geht es der Grete in Australien?“ als über den Werdegang der Kommandeure ...
In einem Bericht über eine Weihnachtsfeier bei der Heilsarmee nach dem Ersten Weltkrieg steht: „‚Es ist wie im Himmel gewesen‘, erzählte ein kleines 85-jähriges Frauchen. Man sah den Gästen an, dass das Leben nicht sanft mit ihnen umgegangen war ... Da saßen sie und schauten befangen um sich. Aber dann wanderten die Blicke immer wieder zur Plattform, an deren Fuß es sich weiß wie ein Gebirge türmte. Was mochten diese geheimnisvollen Päckchen und Tüten enthalten? Kakao, Bohnen, Speck, Erbsen, Mehl, Haferflocken, Nudeln, Reis, Margarine, Kaffee, Konserven, Stollen, Bouillonwürfel ... Das sollte alles verteilt werden? Die Augen weiteten sich ... So sollten es diesmal wirklich frohe Weihnachten werden? Kein Mangel, kein Hunger? Ein paar Tage ohne Sorgen?“
Schon vor der Jahrhundertwende hatte die Heilsarmee in jedem Korps große Weihnachtsbescherungen für arme Kinder und Familien durchgeführt. Es war nicht ungewöhnlich, wenn die Heilsarmee im Dezember einen großen Saal mieten musste, um all die Gäste unterzubringen. So waren 1924 über 2500 Familien bei Weihnachtsfeiern der Heilsarmee im Berliner Sportpalast. Erst ab 1933 war es nicht mehr möglich, die Weihnachtsgäste außerhalb der eigenen Säle zu bescheren.
Doch woher kamen die Finanzen für diese Feiern mit Hunderttausenden armer Leute? – Ganz am Anfang vertrieb man in der Adventszeit fleißig den „Weihnachtskriegsruf“ überall, wo man durfte. Aber bald kam von den USA etwas Neues: Das Topfstehen! Ach, Sie kennen nur „Topfschlagen“ und nicht „Topfstehen“? Dann sind Sie nicht in der Heilsarmee in Deutschland aufgewachsen! „Topfstehen“ ist unser Begriff für diese Sammelaktion während der Adventszeit. Den Topf kennen Sie vielleicht, das dreibeinige Gestell mit dem großen Kochtopf in der Mitte und dem Spruch „Haltet den Topf am Kochen“ oder so ähnlich. Unzählige Menschen haben in den letzten 100 Jahren ihr Scherflein in den Topf geworfen und den frierenden Heilssoldaten angelächelt, der mit Kornett, Gitarre oder Drehorgel die Aufmerksamkeit auf seinen Topf lenkte.
Normalerweise heißt es, dass Christen Gutes tun und nicht viel darüber reden sollen. Es geschieht auch in der Heilsarmee viel Gutes, ohne dass man gleich eine Schlagzeile daraus macht. Aber für die Weihnachtsaktionen galt das nicht! In der Vorweihnachtszeit war die Heilsarmee nicht nur mit ihren Sammeltöpfen überall präsent: Man zeigte auch gerne, was von dem Erlös gekauft wurde. Große offene Lastwagenkolonnen fuhren durch die Stadt, vollgeladen mit Lebensmitteln oder gefüllten Tüten. Geparkt wurde an strategischen Stellen und die Werbetrommel gerührt. Im nächsten Jahr wollte man schließlich noch mehr Leute einladen können! Noch bis in die 60er-Jahre hat man Lebensmitteltüten bei den Weihnachtsfeiern ausgeteilt; später stellte man meist auf ein warmes Essen und einen Warengutschein um.
Aber nicht immer geschieht das Wunder von Weihnachten bei Riesenfeiern. Brigadierin Kalwitzki berichtete 1948 in einem „Kriegsruf“ von einer Begebenheit lange vor dem Krieg. Sie hatte die fleißigen Besucher der Kinderstunde zu einer Weihnachtsfeier eingeladen. Zwei kleine Mädchen fehlten, die sonst treu jede Woche kamen. Die Offizierin wusste, dass der Vater die Heilsarmee heftig ablehnte und ganz grob sein konnte, doch sie wollte den Mädchen ihr Geschenk nachträglich bringen. Der Vater war nicht zu Hause, und die verhärmte Mutter ließ die Besucherin nur widerstrebend ein. Die beiden Kinder aber freuten sich über Besuch und Geschenk. Bevor die Offizierin ging, kniete sie mit den Mädchen nieder und alle beteten. In dem Moment kam der Vater ins Zimmer. Er war nicht begeistert, aber von seinen betenden Töchtern gerührt. „Was wollt ihr denn?“ „Papa, komm doch einmal mit! Nur einmal ...“ Tja – und bedenken Sie bitte, dies ist kein Märchen, sondern eine wahre Geschichte! – Papa ging zur Versammlung „einmal“ mit, bekehrte sich zu Jesus Christus und wurde Heilssoldat. Bis zu seinem Tod diente er treu als Fahnenträger des Korps.
Weihnachtswunder gibt‘s überall, wo Gott wirken darf.“
Auch wenn die Weihnachtsfeiern für einsame und bedürftige Menschen eine lange Tradition in der Heilsarmee haben, geht es uns nicht in erster Linie um Traditionen, es geht darum die Liebe Gottes zu uns Menschen sichtbar zu machen.