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Schafe mögen keine Wurstbrote

Früher wurde der Teller leer gegessen. Essen wegzuwerfen kam nicht infrage. Selbst wenn es mir zu den Ohren herausquoll. Das galt auch für Schulbrote – und hier beginnt das dunkelste Kapitel meiner Kindheit. Ich bin nicht einmal sicher, ob meine Eltern je davon erfahren haben.

Ja, die Schulbrote ... Ich wusste, dass Kinder in Afrika verhungern, wenn ich sie nicht aufesse. Aber wenn es doch nun wirklich gar nicht möglich war? Als Grundschülerin steckte ich in einem Dilemma. Wenn ich mein Brot nicht in der Schule esse, gibt Mutti es mir zum Abendbrot. Aber dann ist es alt und schmeckt wirklich überhaupt nicht mehr! Ich löste das Problem auf meine Weise.

Da Essenreste im Papierkorb von den Lehrern ebenfalls streng geahndet wurden, versteckte ich mein übergebliebenes Pausenbrot hinter einem Schrank im Klassenzimmer. Was für eine brillante Idee – fand eine Kolonie Ameisen, die sich daraufhin unter selbigem ansiedelte. So musste ein anderer Ort der Entsorgung gefunden werden. Als dafür geeignet erwies sich die Schafweide an der Haltestelle, an der ich täglich aus dem Schulbus stieg. Ich bin nicht sicher, ob Schafe Wurstbrote mögen oder ob mich irgendwann jemand bei meinem schändlichen Tun erwischt hatte: Doch auch ohne Mitwisser hatte ich ein wirklich schlechtes Gewissen ob der ganzen Sache.

Ich habe als Kind in der DDR gewiss gelernt, dass Essen ein wertvolles Gut ist, welches nicht verschwendet werden darf. Deshalb blutet mir heute das Herz, wenn mir Gemüse verschimmelt. Oder wenn meine Kinder nur dezent angeknabberte Brote von der Schule wieder mit nach Hause bringen. Ich zwinge sie nicht, diese zum Abendbrot zu essen (was ich meinen Eltern übrigens nicht übel nehme, sondern heute gut verstehen kann). Ehrlich gesagt, wandert manches bei uns in die Biotonne.

Aber ich spreche mit den Kindern darüber, versuche, die Rationen anzupassen oder die Brote am Abend überbacken noch einmal anzubieten. Ich hoffe, dass unsere Kinder trotz des enormen Überflusses, in dem wir heute leben, lernen, Nahrung wertzuschätzen. Und dass wir Gott weiterhin jeden Tag dankbar dafür sind, unsere vollen Teller leer essen zu dürfen.

„Unser tägliches Brot gib uns heute, und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung ...“ (Matthäus 6,11-13)

 

 

 

Anni Lindner ist Offizierin der Heilsarmee
und Kinderbuchautorin.

Erschienen im Heilsarmee-Magazin,
Ausgabe 22/2014

 

 

Bild "Schafe": Georg Mittenecker / Wikimedia Commons

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