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Weihnachten im Hühnerstall

Die Nähe Gottes verspüren

Der „Heilige Tag“ kann ganz schön stressig sein. Es ist viel zu wenig Zeit, um bis zum „Heiligen Abend“ alles fertig zu bekommen. Als Korpsoffizier der Heilsarmee (Gemeindeleiter) weiß man manchmal nicht, wie alles werden soll: Die Musiker stehen bereit, wir wollen im Altenheim spielen. Der holländische Blumenhändler hat angerufen – hoffentlich hat er dieses Mal besser kalkuliert. Letztes Jahr hatte er 250 Weihnachtssterne übrig, wir mussten mehrmals fahren, um sie abzuholen.

Ausgerechnet heute ist unser Auto kaputt und wir haben aber Hermann noch einen Besuch versprochen. Ein Musiker will uns hinfahren und ein anderer wird uns abholen. Hoffentlich klappt das Timing. Die Geschenke habe ich parat und wir sind auf dem Weg.

Hermann wohnt, wo keiner wohnen sollte: mitten auf einem Hühnerhof. Der Besitzer hat ein paar winzige Räume, jeweils zwei mal zwei Meter groß, an Hermann und einige andere vermietet. Darüber und darunter – Hühner. Hühner, nichts als Hühner.

„Der flachste Weihnachtsbaum der Welt“

Wir werden schon erwartet. Er ist unglaublich, der Raum ist auf Hochglanz gebracht worden. Wir nehmen alle auf dem Bett, der einzigen Sitzgelegenheit, Platz: meine Frau, Hermann, ein Mitbewohner, der alkoholkrank ist, eine schwer kranke Frau und ich. Diese Frau hat nicht mehr lange zu leben. Das Krebsgeschwür an ihrer Hüfte ist Kindskopfgroß.

Auf dem Fensterbrett steht der flachste Weihnachtsbaum, den ich je gesehen habe. Geschmückt ist er mit Keksen. Irgendwie kommen die mir bekannt vor und dann weiß ich es: Sie stammen aus dem Lebensmittelpaket, das Hermann bei der Bedürftigenweihnachtsfeier im Korps bekommen hat. Auch ein paar Liederblätter hat er von dort „mitgehen“ lassen. Wir singen einige Lieder, ich lese die Weihnachtsgeschichte und bete. Wir unterhalten uns ein wenig, dann verteilen wir kleine Geschenke. Nichts Besonderes, etwas zu essen und ein paar Toilettenartikel.

Irgendwie sind alle ergriffen und bewegt

Das war schon alles. War das wirklich alles? Nein: Etwas Besonderes ist da noch. Mir ist als ob Jesus selbst dabei ist. Da ist ein Gefühl seiner Gegenwart, wie ich es selten so intensiv gespürt habe.

Übrigens: Als Hermann am nächsten Morgen zur Christmette kam, erzählte er uns, dass er den „flachsten Weihnachtsbaum der Welt“ zu einer Aussiedlerfamilie gebracht habe. Er hatte ihn durch die halbe Stadt getragen, um ihnen eine Freude zu machen. Hermann hatte begriffen: Weihnachten kann keine Privatsache sein, denn die Weihnachtsfreude darf, ja, muss weitergegeben werden!

Weihnachten: Jesus möchte Menschen nahekommen

Als Hermann mir das erzählte erkannte ich was an diesem Heiligen Abend geschehen war: Jesus war uns deshalb so spürbar nahe, weil sich sein Wort erfüllt hatte:

„Was ihr für einen meiner geringsten Brüder oder für eine meiner geringsten Schwestern getan habt, das habt ihr für mich getan“
Matthäus 25,40.

Wir dachten, wir hätten Hermann und seine kranken Mitbewohner besucht und beschenkt, aber tatsächlich hatten wir Jesus besucht und beschenkt und dafür wurden wir von ihm reich beschenkt und gesegnet, nämlich mit seiner spürbaren Gegenwart.

Seitdem sind viele Jahre vergangen. Diesen Heiligen Abend haben wir jedoch nie vergessen. Lag es daran, dass Weihnachten bedeutet, dass Jesus in einem Stall geboren wurde? Dass Jesus in einem Stall den Menschen besonders nahegekommen ist? War es für uns deshalb ein wirklicher Heiliger Abend, weil es ein Weihnachten im Hühner-Stall war?

Alfred Preuß, Major

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