Gründungsakte der Heilsarmee 1865

Frauen und Männer haben die gleichen Rechte und Pflichten

Catherine, die Quotenfrau? Alles andere als das! Catherine Booth, die gemeinsam mit ihrem Mann William die Heilsarmee gründete, war eher eine frühe Feministin, die schon als Kind für gleiche Rechte und gleiche Pflichten für alle eintrat. Zwar regierte damals Queen Victoria über ein Viertel der Welt, aber zu sagen hatten eben nur die Männer. Wahlrecht für Frauen? Entscheidungskompetenz für Frauen? Frauen in der Kirche? Undenkbar!

Aber nicht für Catherine. Sie war für Gleichberechtigung – und konnte ihren Mann überzeugen. So kam es, dass bereits bevor die Heilsarmee überhaupt „Heilsarmee“ hieß, in ihren Statuten stand, dass Männer und Frauen in allen Dingen gleichberechtigt waren, bis hin zu Leitungspositionen.

„Ich bestehe auf die Gleichberechtigung von Frauen und Männern.
Jeder Offizier und Soldat soll darauf bestehen, dass die Frau genauso wichtig, so wertvoll, so fähig und so notwendig für den Fortschritt und das Glück der Welt ist wie der Mann.“

Wie kam es dazu?

1859 besucht ein amerikanisches Ehepaar, Walter und Phoebe Palmer, Großbritannien. Nicht nur Dr. Palmer predigt, sondern auch seine Frau Phoebe. Damals ein Skandal! Es gibt wütende Predigten gelehrter Kirchenmänner und Leserbriefe in den Zeitungen, darunter auch einige von Catherine Booth. Sie macht sich daran, eine Streitschrift zu verfassen: „Das Recht der Frau, zu predigen.“ Sie ist 31 Jahre alt, Mutter von mehreren Kleinkindern – und hat noch nie gepredigt. Es geht ihr nicht um sich selbst, sondern um das Recht einer Frau, selbst zu bestimmen, was sie tut oder lässt. Im Jahr 1861 hat sie den starken Eindruck, dass Gott von ihr verlangt, in der Kirche ihres Mannes selbst etwas beizutragen. Am Schluss des Gottesdienstes geht sie nach vorn und flüstert ihrem William ins Ohr, dass sie „etwas sagen möchte“. Und ihr Mann ist so bewegt – und so modern – dass er gleich verkündet: „Heute wird im Abendgottesdienst meine Frau predigen!“

Die Booths gründeten eine eigene Bewegung, die „Christliche Mission“. In den ersten Jahrzehnten wuchs sie sprunghaft, erst recht, nachdem sie sich den provokativen Namen „Die Heilsarmee“ gab. Catherine und William waren nicht nur für Gleichberechtigung der Geschlechter, sondern auch für Gleichberechtigung der Klassen. So kam es, dass auch der bekehrte Schornsteinfeger, der Analphabet und die Küchenmagd mitreden durften. „Manche Männer“, hatte William Booth gesagt, „haben nichts Wichtiges zu sagen. Sie sollen schweigen, nicht reden. Und manche Frauen haben etwas zu sagen. Sie sollen reden und nicht schweigen!“

Wäre aber Catherine für die Frauenquote?

Sie hatte sie gar nicht nötig! Viele Frauen begriffen die Heilsarmee als ihre gottgegebene Chance, im Reich Gottes nicht nur still zuzuhören oder die Kirche zu putzen und zu schmücken, sondern auch gleichberechtigt mit den Männern Gemeinden und Einrichtungen zu leiten. Die Heilsarmee in Frankreich, in der Schweiz, in Finnland und Schweden ist von Frauen gegründet worden. Und als die „Invasionstruppe“ der Heilsarmee 1880 in New York ankam, fand sie schon hundert Mitglieder vor, gewonnen und ausgebildet von einer siebzehnjährigen Auswanderin und ihrer Mutter, die bereits in Großbritannien zur Heilsarmee gehört hatten.

Das Prinzip der Gleichberechtigung gilt in der Heilsarmee auch für das höchste Amt: Bereits vor 80 Jahren war der oberste Chef der internationalen Heilsarmee eine Frau, Evangeline, eine Tochter der Booths. Dann dauerte es noch 50 Jahre, bis Eva Burrows, eine australische Lehrerin, im Jahr 1986 Generalin wurde. Und zurzeit [Anm. der Redaktion: In den Jahren 2011 bis 2013] wird die Heilsarmee von einer Kanadierin, Linda Bond, geleitet. Gleichberechtigung ist in der Heilsarmee aber nicht nur eine Sache der Hauptamtlichen. Erwähnen könnte ich beispielsweise eine Ergotherapeutin, die ehrenamtlich in ihrer Heilsarmeegemeinde das Musikkorps leitet. Da muss sich auch ihr Ehemann nach ihrem Taktstock richten.

„Da ist nicht Jude noch Grieche, da ist nicht Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus“, schreibt der Apostel Paulus in seinem Brief an die Galater (Kapitel 3, Vers 28). Deshalb achtet die Heilsarmee auch auf gleiche Rechte für verschiedene Kulturen: In Indien sind die Heilsarmeeleiter meistens Inder, in Afrika Afrikaner, in Südamerika Südamerikaner. Oder eben auch Afrikanerinnen und Südamerikanerinnen – für diese sich entwickelnden Länder ein enormer Schritt auf dem Weg zu einer echten Gleichberechtigung.

Früher war die Ausbildung der Heilsarmeeoffiziere kurz und praktisch. Wenn man heute mehr Wert auf akademische Arbeiten legt, dann deshalb, weil die Heilsarmee den Wert von Schule und Ausbildung erkannt hat. So sind weit über eine halbe Million Kinder in der Welt auf Schulen, die von der Heilsarmee geleitet werden. Gerade dort, wo es schwierig ist, das Schulgeld aufzubringen, fängt echte Gleichberechtigung bei den Bildungschancen für alle an.

Doch zurück zu Catherine & Co. Es gab eine Zeit, da waren zwei Drittel aller Heilsarmeeoffiziere Frauen. Manche waren Frauen, die nie die Gelegenheit gehabt hätten, aus ihrem Dorf herauszukommen. Andere waren begabte und leidenschaftliche Christinnen, die in ihrer Kirche damals keine Möglichkeit hatten, Verantwortung zu übernehmen und auf allen Ebenen mitzuarbeiten. Sie alle – und auch ich – verdanken unsere Chance dem Mut einer Frau, die es wagte, anders zu denken. Und einem Gott, vor dem Männer und Frauen gleich wert sind.

Christine Schollmeier